Wenn nicht jetzt, wann dann?
zerbrach sich den Kopf über die richtige Nuance von Grün für das Kränzchen, das eine Tischkarte zieren sollte, oder änderte Abstände, damit Schriften harmonischer wirkten. Was war dagegen ein falsches t? Seine Fehler gingen ihm stets sehr zu Herzen, er war der sorgfältigste Fehlermacher, den Liz kannte. Allein dafür blieb sie ihm treu. Liz war sowieso von der treuen Sorte. Wenn sie sich einmal für jemanden entschieden hatte, dann blieb sie auch dabei. Claire war seit über fünfundzwanzig Jahren ihre beste Freundin gewesen. Liz hatte niemals zwei oder drei beste Freundinnen gehabt. Claire war die einzige, und sie wäre es auch ein Leben lang geblieben. Sie wäre auch bei Jo geblieben. Immer. Und aus diesem Grund blieb sie bei ihrem Drucker. Auch wenn er manchmal die Buchstaben versetzte. Das gehörte in die Rubrik kleine Fehler, über die sie großzügig hinwegsehen konnte.
Sie musste unbedingt daran denken, Frau Hummel anzurufen, um sie daran zu erinnern, bei der Torte für die morgige Hochzeit im Dekor etwas sachlicher zu bleiben. Frau Hummel war vielleicht manchmal etwas umständlich und altbacken und ihre Auffassung von Romantik mochte manchmal hart am Kitsch entlangstreifen, aber wenn Liz ehrlich war, dann war Frau Hummel ein wahrer Goldschatz. Als Liz in die Spohrstraße gezogen war, nachdem sie ihre alte Wohnung hatte verlassen müssen, und mit einer gewissen Verzweiflung versucht hatte, eine leere Wohnung mit Leben zu füllen, hatte nach zwei, drei Tagen eine wundervolle kleine Schokoladentorte mit einem weiß geschwungenen Willkommensschriftzug vor der Tür gestanden. Eine Bordüre aus weißer Schokolade mit silbernen Liebesperlen hatte einen grünen Pistazienrasen eingefasst, auf dem kleine Zuckerveilchen blühten, und Liz waren die Tränen in die Augen geschossen. Ihre eigene Hochzeitstorte hatten andere gegessen. Aber nun hatte sie völlig überraschend eine viel schönere Torte geschenkt bekommen. Als sie an der Tür der Nachbarin Sturm geklingelt hatte, stand sie mit einem Mal vor einer farblosen, unscheinbaren Frau, der sie dieses süße Meisterwerk niemals zugetraut hätte.
»Ich hoffe, Sie mögen Kuchen«, hatte sie schüchtern gelächelt. »Ich backe nämlich schrecklich gerne. Und ich dachte, auf gute Nachbarschaft …«
Liz hatte Frau Hummel gleich auf ein Stück Torte zu sich eingeladen, und ihr war plötzlich aufgefallen, dass aus der Farblosigkeit ihrer äußerlichen Erscheinung unglaublich strahlende blaue Augen hervorblitzten. Während sie zusammen in Liz’ kleiner Küche saßen, in der sich die unausgepackten Kartons nach wie vor stapelten, und den Schokoladenkuchen löffelten, der noch besser schmeckte, als er aussah, obwohl das eigentlich absolut unmöglich erschien, hatte Liz ihr von ihrer Hochzeitsplanerei erzählt und sie spontan gefragt, ob sie nicht für die nächste Hochzeit die Torte backen wollte. Frau Hummels Augen hatten kurz aufgeleuchtet, doch dann hatte sie sehr aufgeregt widersprochen. Sie könne das gar nicht, das Backen sei nur ein Steckenpferd, aber sie könne das wirklich nicht, nein. Liz hatte sie richtiggehend überreden müssen. Als sie ihr dann noch den Preis nannte, den sie ihr dafür bezahlen würde, hatte sich die arme Frau Hummel fast verschluckt.
Seitdem backte Frau Hummel Kuchen und verwandelte sie für Liz in wunderbare Hochzeitstorten. Es konnte vorkommen, dass darauf weiße Taubenpärchen Marzipanröschen im Schnabel trugen und kleine Liebespaare aus Plastik umflatterten, die in der Mitte der Torte aus kleinen aufgemalten Augen starr geradeaus guckten, als hätten sie soeben etwas gesehen, was ihnen das Lächeln auf dem Gesicht gefrieren ließ.
»Weniger ist mehr, liebe Frau Hummel!«, pflegte Liz ihrer Tortenbäckerin zu predigen, und meist gelang es ihr, sie zu überreden, die Idee mit den Marzipanröschen für die nächste Torte zu nehmen, und die Idee mit den rosa Zuckergussherzen für die übernächste. Ihre üppigen Torten verzauberten jedoch jede Gesellschaft, sobald sie hereingetragen wurden. Man sah ihnen einfach an, mit wie viel Liebe und Sorgfalt sie dekoriert worden waren. Frau Hummel würde niemals auf die Idee kommen, bereits vorgeformte Marzipanrosen zu verwenden. Sie knetete und modellierte alles selbst. Liz vermutete, dass eigentlich eine bildende Künstlerin in ihr steckte, die sich nie so recht hervorgewagt hatte und sich nun in Marzipan und buntem Zuckerfondant austobte. Kürzlich hatte sie die Hochzeit für eine junge
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