Wenn nicht jetzt, wann dann?
so nett bedient wurden. Das hätte sie gerne mit ihrer Tochter gemacht, wenn das Leben ihr eine beschert hätte. Aber heute saß eine andere junge Frau neben ihr, der sie dabei zuschauen durfte, wie sie sich in eine Braut verwandelte. Wenn das Mädchen auch nicht ganz einfach war, es war so aufregend!
Frau Schwarz kam mit einem Tablett zurück, das sie auf dem Tisch vor ihnen absetzte, und stellte ihnen ihre Assistentin Frau Heckmann vor, die schon gleich einen Stapel Kataloge anschleppte und neben dem Tablett auf den Tisch legte. Während Frau Schwarz den Kaffee eingoss, fragte sie Nina, ob sie denn bereits eine Vorstellung habe, die sie berücksichtigen könnten.
»Streng, sachlich, elegant. Nur kein Plüsch«, sagte Nina wie aus der Pistole geschossen.
»Ahaa. Sachlich.«
Frau Schwarz griff zielsicher nach einem Katalog und blätterte ihn vor Nina und Annemie auf.
Dünne Bräute mit schmal geschnittenen Gesichtern und noch schmaler geschnittenen Kleidern standen in steifen Posen an klassischen Säulen oder dunklen Möbeln und sahen an der Kamera vorbei. Sie wirkten so kantig und geradlinig wie die Kleider, die sie trugen. Das waren doch keine Hochzeitskleider!
Während Nina in dem Katalog blätterte, konnte Annemie sich nicht zurückhalten.
»Und gibt es da nicht auch etwas Festlicheres?«
»Das ist doch sehr festlich«, antwortete Frau Heckmann. »Das sind sehr elegante, hochwertige Modelle. Frau Winter würde darin phantastisch zur Geltung kommen. Das Kleid hält sich vornehm zurück, damit die Frau, die es trägt, im Mittelpunkt steht.«
»Es gibt aber auch so etwas, sehen Sie einmal hier«, Frau Schwarz zog einen anderen Katalog hervor und öffnete ihn für Annemie und Nina.
»Das ist festlicher und trotzdem nicht rüschig. Davor haben Sie wahrscheinlich Angst, nicht wahr? Obwohl ich Ihnen versichern kann, dass es festliche, romantische Modelle gibt, die dennoch durch eine ganz geschmackvolle Schlichtheit bestechen.«
Annemie staunte. Frau Schwarz trug nicht nur wundervolle Strumpfhosen, sie konnte sich auch noch so gut ausdrücken. Frau Schwarz hatte wahrscheinlich ihr ganzes Leben lang schon hier gearbeitet, genau wie Waltraud, die, seit Annemie sie kannte, immer gearbeitet hatte und, auch wenn sie einmal darüber schimpfte, im Großen und Ganzen immer Spaß daran hatte. Wie kam es, dass es Frauen in ihrem Alter gab, die etwas richtig gut konnten und damit Geld verdienten, während sie von Rolf-Dieter Hummels Rente lebte, die sie mit Kuchenbacken aufbesserte, und ansonsten nichts richtig konnte? Warum hatte sie aufgehört zu arbeiten? Wie war es bloß dazu gekommen, dass Rolf ihr genau die gleichen Vorschriften gemacht hatte, die sie von ihrer Mutter schon kannte? Vor allem aber fragte sie sich, wie es dazu gekommen war, dass sie sich nicht dagegen aufgelehnt hatte? Niemals? In der Weihnachtszeit hatte sie regelmäßig in einer alteingesessenen Confiserie ausgeholfen. Da hatte sie die hohe Kunst feiner Schokoladen und Pralinen gelernt, ihre Petit-Fours-Rezepte stammten aus dieser Zeit und vieles, was sie für die Tortendekoration verwendete, ebenfalls. Sie hatte diese Arbeit geliebt, doch sie hatte weder den Mut aufgebracht zu fragen, ob sie als spätes Lehrmädchen aufgenommen werden würde, noch ob sie als Aushilfe einfach für immer dort arbeiten könnte. Sie hatte nie den Mut gehabt, für sich einzustehen. Wie Nina Winter oder die junge Frau Hartmann oder Liz. Diese jungen Frauen waren so anders, dass Annemie irgendwo in der Herzgegend ein richtiggehendes Ziehen verspürte. Aber sie riss sich zusammen, sie war schließlich nicht hier, um über ihr Leben nachzudenken, sondern um über Ninas Brautkleid zu beratschlagen. Ihre Aufmerksamkeit war ja überall, nur nicht bei den Hochzeitskleidern. Sie vertiefte sich wieder in den Katalog. Hier waren schlicht geschnittene Kleider zu sehen, die aber durch Spitzen oder bestickte Seide einen ganz anderen Glanz bekamen. Die gefielen Annemie schon wesentlich besser. Auf einer der Abbildungen liefen Blumenmädchen blütenstreuend vor der Braut her.
»Wissen Sie schon, wer bei Ihnen Blumen streuen wird?«, fragte Annemie neugierig.
Nina winkte ab.
»Bei meiner Hochzeit werden keine Blumen gestreut. Das ist mir zu kitschig.«
»Oh, man sollte aber wenigstens einmal zusammen auf Blüten gewandelt sein, dann lassen sich auch die dornigen Strecken besser bewältigen.«
Nina sah Annemie skeptisch von der Seite an.
»Und sind Sie bei Ihrer Hochzeit auf
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