Wenn nicht jetzt, wann dann?
Fabian und ihren Vater zusammengebastelt hatte. Annemie überlegte, ob sie Nina auf ihre Beobachtung ansprechen sollte. Und wenn ja, wie? Während sie noch mit sich rang und im Kopf ein paar mögliche Fragen und Antworten durchspielte, waren sie schon angekommen, und Annemie dachte, das nächste Treffen wäre vielleicht auch eine Gelegenheit. Und bestimmt sogar eine bessere.
Weiß stand Nina jedenfalls hervorragend. Vielleicht müsste sogar ihr Brautstrauß ganz in Weiß gehalten werden. Das könnte sie ja einmal mit Hannes Winter besprechen, wenn sie ihn wieder besuchte. Wann sollte sie das wohl am besten tun? Irgendwie verspürte sie einen Drang, sofort hinzufahren, doch das redete sie sich aus. Heute dort zu erscheinen wäre aufdringlich. Morgen, das war schon besser. Morgen würde sie zu ihm fahren.
Liz bekam, seit sie im Krankenhaus lag – und das war nun schon seit einer Woche –, jeden Morgen von Dr. Friedrich Kaffee ans Bett gebracht, was Rosi Schäfer mit einem Kopfnicken kommentierte. »Recht so« oder »Weiter so« schien dieses Nicken zu bedeuten. Und auch Liz gestand sich mittlerweile ein, dass sie dies inzwischen als mehr als nur eine nette Geste empfand.
Wenn Liz ehrlich war, musste sie sich ebenfalls eingestehen, dass sie heute Morgen schon richtiggehend auf ihn gewartet hatte und zusammen mit Rosi Schäfer mehrere Male erwartungsvoll zur Tür geschaut hatte, wann immer sie sich öffnete. Und wenn sie schon einmal dabei war, ehrlich zu sein, dann könnte sie genauso gut auch zugeben, dass es ihr jedes Mal einen kleinen Stich der Enttäuschung versetzt hatte, wenn es doch nur die Schwester war, die eintrat, um die Temperatur zu messen, die Kopfkissen zu schütteln oder das Frühstückstablett zu bringen. Um sich die Zeit zu vertreiben, bastelte Liz sich ein Omen nach dem anderen zurecht. Sie zählte bis hundert: Wenn er kam, bevor sie fertig gezählt hatte, dann war er kein Casanova. Als er bei 99 noch nicht aufgetaucht war, verlängerte sie kurzum bis 200 . Doch er kam auch nicht, als sie schon bei 341 angelangt war. Sie wartete, bis sich die Tür ein drittes Mal öffnete: Wenn er beim dritten Mal hereinkam, dann wäre er ehrlich an ihr interessiert. Sie trank ihr Wasserglas in einem Zug aus: Wenn ihr dies gelang, ohne abzusetzen, dann käme er gleich. Doch nichts geschah.
Wenn sie diesen Zeichen Glauben schenkte, dann buchstabierten sie ihr förmlich genau das vor, was sie die ganze Zeit schon vermutete. Dass er ein unzuverlässiger Frauenheld war, der gerne mal ein bisschen flirtete. Die Zeichen rieten ihr, ihn schnellstmöglich am besten komplett zu ignorieren. Dennoch wartete sie immer weiter, während sie sich vorsagte, dass diese Regungen, die sie verspürte, wenn sie an ihn dachte, doch nichts weiter waren als hormonelle Schübe, die alle Menschen im paarungsfähigen Alter in gewissen Abständen in gefühlvolle Schwingungen versetzten, um die Fortpflanzung anzukurbeln und letztendlich die Arterhaltung zu sichern. Genetische Reflexe! Hormone! Chemische Verbindungen im Körper, versuchte sie sich einzureden. Nichts als Chemie.
Doch sie wartete trotzdem.
Und das beunruhigte sie.
Als er endlich auftauchte, eigentlich nur fünfzehn Minuten später als sonst, kam es Liz so vor, als sähe er noch besser aus.
»Und, was haben Sie gestern Abend gemacht, als Sie das Krankenhaus verlassen durften, während ich hier immer noch festklebe?«, fragte sie ihn neugierig und trank einen Schluck von dem herrlichen Kaffee, den er ihr wie immer lächelnd überreichte.
»Soll ich ehrlich sein?«
»Unbedingt!«, flötete Liz und hoffte dabei inständig, dass er jetzt nichts Falsches sagen würde.
»Ich hatte einen herrlichen Abend.«
Er grinste sie über seinen Kaffeebecher hinweg an. Mittlerweile brachte er nicht nur ihr einen Becher vorbei, er brachte auch einen für sich mit und trank ihn gemeinsam mit ihr.
»So«, Liz sah ihn etwas misstrauisch an. »Und der gestaltete sich wie?«
»Ich weiß, Sie sind momentan nicht gut auf Fahrräder zu sprechen, aber ich bin gestern eine Runde Rad gefahren, was wirklich gutgetan hat nach einem ganzen Tag hier drin.«
»Und dann?«
»Dann bin ich nach Hause gefahren – wie genau wollen Sie es denn wissen? Mit Duschen und welches Duschmittel und was ich zuerst eingeseift habe?«
»Das ersparen Sie mir. Duschen reicht. Und dann?«
»Dann habe ich eine Pizza bestellt.«
»Ah. Sind Sie auch ein Anhänger von Weißmehl und Fett und diesem ungesunden
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