Wenn nicht jetzt, wann dann?
ob ich dann ständig auf meine Sachen achten müsste. Das stelle ich mir extrem anstrengend vor. Also, das alles motiviert mich nicht sehr. Allerdings scheitert mein nächster Versuch, bis Nájera mit dem Bus weiterzufahren, daran, dass der Bus erst in zwei Stunden fährt. Diese Auskunft habe ich, wie man mir riet, vom Apotheker vis-a-vis der Bushaltestelle erhalten.
Es ist heiß, ich bin hungrig und sehr müde, irre in einem hässlichen Ort mit vielen Baustellen herum und weiß nicht weiter. Endlich kommt die Rettung in Form eines etwas ungepflegten spanischen Mannes, den ich nach einem Quartier frage. Dieser Mann ist so freundlich, mich circa fünf Minuten lang zu einem spanischen Quartier zu begleiten, wo ich 13,00 € zahlen soll für ein Zimmer, das angemessen und sauber und in fast gutem Zustand ist, auch wenn die abgebrochene Wandlampe lebensgefährlich ist. Bad und WC befinden sich allerdings auf dem Flur, aber damit kann ich leben. Mir ist alles egal, auch, dass mein Vermieter sofort Ausweis und Geld haben will. Ich beziehe mein Zimmer und möchte nur noch eines: schlafen! Nach gut zwei Stunden werde ich wach, meine Waden schmerzen noch immer, aber ich fühle mich viel besser. Zeit, das Badezimmer auszuprobieren. Mit Duschtuch umwickelt, Badelatschen an den Füßen, mit Duschgel bewaffnet, begebe ich mich drei Türen weiter. Zuerst wird das Wasser nicht warm, und dann ist es so heiß, dass ich meinen eingeschäumten Körper inklusive der Haare nicht abduschen kann, ohne mich zu verbrühen. Endlos fummele ich an der Duscharmatur herum, bis ich schließlich einigermaßen entschäumt in mein Zimmer zurückgehen kann. Doch auf dem Flur ist es dunkel — das Licht ist defekt — und ich finde mein Zimmer nicht mehr. Ich irre herum, endlos, und erst beim dritten Versuch werde ich zum Glück fündig: Der Schlüssel passt. Es ist eben nicht jedermanns Sache, völlig nackt, nur mit einem Badetuch umwickelt, an fremden Zimmertüren herumzuprobieren!
Schließlich mache ich mich fertig und will los zum Einkaufen. Als ich jetzt durch die Straßen laufe, erscheint mir der kleine Ort nur noch halb so hässlich und schmutzig wie heute Mittag. Inzwischen ist es fast 18.00 Uhr, und ich lasse den Tag ruhig ausklingen, sitze auf dem Marktplatz draußen bei Rotwein und Selters im Schein der untergehenden Sonne und wundere mich über die moderaten, viel geringeren Preise der Getränke als in Deutschland. Jetzt geht es mir wieder gut. Was so eine kleine Ruhepause doch ausmacht!
Als die Sonne dann untergegangen ist und es schon schummerig wird, suche ich mir ein Restaurant mit der Möglichkeit, draußen sitzen zu können, um dort zu essen. Ich finde ein solches, bei dem die Sitzplätze von Weinpflanzen umrankt sind, mit einem romantischen Blick auf die angestrahlte, rötlich schimmernde Backsteinkirche des kleinen Ortes. Bei Salat mit Brot und Rotwein genieße ich den lauen Abend in dieser unwirklichen Atmosphäre. Um mich herum duften die Blumen in den Blumenrabatten, die Blätter und Zweige der Weinranken säuseln leicht im Wind, als die ersten Sterne am Himmel aufgehen. Sie tauchen zusammen mit dem Mond, der fast vollständig rund erscheint, Tische, Stühle und Gäste des Restaurants in ein surreales Licht. Von dezenter spanischer Musik ummalt, ergeben sich amüsante und zum Teil auch tief empfundene Gespräche mit den Gästen am Nachbartisch. Dort sitzen zwei Pilgerinnen, die sehr fröhlich von ihrer heutigen Quartiersuche berichten. Offensichtlich haben sie eine Straße gesucht, die es zweifach mit fast gleichem Namen in diesem Ort gibt, sodass sie fast eine Stunde lang von Einheimischen hin- und hergeschickt wurden, bis sie merkten, wo ihr Problem eigentlich herrührte.
Weiterhin schildert ein älterer Herr in der Gesellschaft dieser beiden Frauen seine berufliche Situation in der Schweiz, in der er so belastet gelebt hat, dass er keinen anderen Weg sah, als seinen Beruf aufzugeben. Seitdem nun seine Entscheidung klar ist, geht es ihm viel besser, auch wenn er noch immer nicht so recht weiß, wie er sein Leben nach der Pilgerreise auf dem Jakobsweg weiterführen möchte und kann.
Wir kommen ins Philosophieren über den Sinn des Lebens, über die persönlichen Zielsetzungen, über die Notwendigkeit, auch manchmal persönliche Freiräume und Entspannungszeiten zu beanspruchen. Auch diskutieren wir angeregt über die Rolle der Mitmenschen, der Familie in einem solchen Entscheidungsprozess. Kein Mensch lebt für sich allein,
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