Wenn nicht jetzt, wann dann?
dieses alles hier machen und erleben kann. Dafür bin ich aus tiefster Seele dankbar und bin auch darüber glücklich.
Mein junger Begleiter freut sich offensichtlich über Gesellschaft und erzählt pausenlos, z. B. auch über die Herbergen, wo er dankbar ist, wenn er mal warmes Wasser für die Dusche hat oder nicht so lange anstehen muss. Auch spricht er von großer Hilfsbereitschaft der Pilger untereinander, wenn Salben und Blasenpflaster gegen wunde, geschundene Füße die Runde machen. Weiter erzählt mir der junge Pilger, der mich irgendwie an meine beiden Söhne erinnert, dass er in den Herbergen sehr viele Ältere und auch Pensionäre trifft. Das ist auch mein Eindruck, denn in Astorga zum Beispiel habe ich in der Gästeliste der Herberge die Altersangaben von 17 bis 81 Jahren vorgefunden.
Der junge Mann berichtet auch von seinen Rucksackreisen durch Kuba und Thailand. Dort habe er erlebt, dass die Menschen mit sehr viel weniger als bei uns auskommen müssen. Trotzdem habe er bemerkt, dass dort viele Menschen einen glücklichen und zufriedenen Eindruck auf ihn machten. Besonders bewundert hat er in diesen Ländern die Gastfreundschaft der Einheimischen, die ihn häufig zum Essen einluden, auch wenn sie selbst nicht viel besaßen. Schließlich verabschiedet sich der junge Mann, um weiter in seinem schnelleren Tempo laufen zu können.
Auch nachdem mich dieser nette junge Pilger verlassen hat, geht mir unser langes und interessantes Gespräch durch den Kopf. Es gehört Mut dazu, seinen jungen Freunden zu erzählen, dass man auf Pilgerreise geht, während andere vielleicht mit der Freundin im Süden irgendwo am Strand liegen. Ein bemerkenswerter junger Mensch wie so viele, die ich bereits auf dem camino getroffen habe, warmherzige, tief fühlende, denkende Menschen, die mir einfach gut tun und mir manchmal sogar imponieren, weil sie Ungewöhnliches tun oder ihr Schicksal aktiv bewältigen. Auf jeden Fall gibt es unter den Pilgern eine vertraute Zuneigung, ein Verstehen in vielen Sprachen und die Toleranz, »Anderssein« zu akzeptieren. Und das gefällt mir sehr.
Auch ist es hier nichts Außergewöhnliches, wenn eine Frau allein unterwegs ist, vielmehr sind hier circa achtzig Prozent der Menschen allein unterwegs, auch die Frauen. Es gibt keinen Grund, Angst davor zu haben, allein zu gehen, da man immer wieder nach kurzer Zeit andere Pilger trifft.
Mein Weg führt mich unter Bäumen bergab, als es wieder einmal anfängt zu regnen. Also muss ich schon wieder den Rucksack herunternehmen, die Regenabdeckung aufziehen und kann dann erst weiterlaufen. Aus den wenigen Tropfen wird ein Landregen. Der Weg ist durch die Nässe rutschig und gefährlich, und ich muss vorsichtig auftreten, als ich über die Felsen, die auf dem Weg liegen, klettere. Danach taste ich mich vorsichtig voran, da auf dem Boden kleine Steinen liegen, die durch den Regen glatt wie Schmierseife sind. Zum Glück geht dieser Abstieg auf nass-rutschigen Steinen nur über eine kurze Strecke, bevor ich den nächsten Ort, Molinaseca, erreiche. Ich entscheide mich für eine Kaffeepause mit Apfelkuchen in der Meinung, mein heutiges Ziel, Ponferrada, sei unmittelbar dahinter. Das erweist sich im Gespräch mit der Wirtin jedoch als Irrtum, denn ich habe noch circa sechs Kilometer bis Ponferrada zu bewältigen.
Als ich wieder nach draußen trete, ist aus dem Landregen ein Duschregen geworden, schlimmer noch, als ich es aus Norddeutschland kenne. Na, das kann ja heiter werden! Der Weg aus dem Ort hinaus führt mich zunächst endlos lang an der Straße bergauf, und es gießt aus allen Öffnungen des Himmels. Während ich diesen scheinbar nicht enden wollenden Weg bergauf gehe, komme ich an einer Pilgerherberge, die sich am Ortsausgang befindet, vorbei. Das Kuriose an dieser Herberge ist, dass unter einem Riesenbalkon Etagenbetten für Pilger zum draußen Schlafen aufgebaut sind. Ich zähle so an die zwanzig Betten, die da draußen im Regen und in der Kälte stehen, und ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn ich dort übernachten müsste! Bei dieser Vorstellung gruselt es mich. Dennoch muss es einen Grund geben, dass diese Herberge Betten für draußen anbietet. Es hat den Anschein, dass das Wetter hier auch ganz anders sein kann, als ich es zurzeit erlebe. Bei dreißig Grad im Schatten kann ich es mir auch ganz nett vorstellen, draußen in der kühleren Nachtluft zu schlafen!
Tapfer schreite ich voran und hoffe, dass mein Regenzeug dicht ist und vor allem
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