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Wenn nicht jetzt, wann dann?

Wenn nicht jetzt, wann dann?

Titel: Wenn nicht jetzt, wann dann? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Malou
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laufen und dreimal fragen, denn der Weg ist hier nicht gut ausgeschildert. Das ist auch das Bemerkenswerte an den Kilometerangaben, dass diese alle vom Ortsausgang des einen bis zum Ortseingang des nächsten Ortes berechnet sind; die vielen Kilometer in den Städten, die ich brauche, um eine Unterkunft zu finden oder aus dem Ort wieder herauszukommen, sind nie einberechnet. Allgemein gilt: Je größer der Ort, desto weiter der Weg. So laufe ich stets mindestens fünf Kilometer mehr als angegeben, ganz zu schweigen von den Besichtigungstouren, die ich am Nachmittag vorhabe.
    Mein Weg heute führt mich erst einmal ziemlich eben an der Straße entlang, keine besondere Aussicht, keine besondere Natur. Schließlich erreiche ich nach circa zwei Stunden, gegen 9.00 Uhr, Camponaraya, wo ich Rast mache, um zu frühstücken. Café con leche, getoastetes Baguette, Butter und Marmelade für 1,80 €, das ist absolut in Ordnung.
    Danach verlässt mein Weg wieder die Straße und verläuft zwischen den Weinbergen, bis ich durch Cacabelos komme. Welch ein niedlicher Ort! Ich überquere eine interessante schräge Brücke aus Natursteinen und laufe durch die Straßen, die vorwiegend von alten Häusern mit Holzbalkonen gesäumt sind. Das Außergewöhnliche ist, dass die Balkone häufig so tief sitzen, dass man nicht darunter hindurchgehen kann. Die Leute waren früher eben doch viel kleiner, als sie es heute sind.
    Mit meinem geistigen Auge kann ich mir vorstellen, wie sich vor Hunderten von Jahren das Leben in diesen kleinen Orten abgespielt haben könnte. Ich denke an kleine Menschen, ärmlich gekleidet, die unter diesen Holzbalkonen auf einer Bank in der Abendsonne sitzen, stets im Kreise ihrer Familie, umgeben von ihren Kindern. Auch heute noch sind diese Holzbalkone wunderschön, liebevoll geschnitzt, aus dunklem Holz, mit Blumenkästen mit roten Geranien verziert, sodass sie einen anheimelnden Eindruck hinterlassen.
    Beim Weitergehen sehe ich immer wieder Natursteinhäuser mit kunstvoll verzierten, geschnitzten Holztüren und gemütlichen, begrünten Innenhöfen mit Sitzbänken. Dieser kleine Ort hat Flair und gefällt mir sehr.
    Am Ortsende geht es leider wieder bergauf. Das Laufen bereitet mir heute Probleme, weil ich Muskelkater in den Waden habe, offensichtlich noch immer vom Abstieg von vorgestern. Wenn ich in Bewegung bin, wird es jedoch besser. Es geht weiter auf und ab durch die Weinberge, stets mit Blick auf die wolkenverhangenen Berge. Der Himmel sieht nach wie vor nicht freundlich aus und verspricht nichts Gutes. Schließlich passiere ich immer wieder Gemüsefelder und Obstbäume, Süßkirschen, gelblich-rosa-rot, an unendlich vielen Bäumen. Immer wieder angele ich mir die süßen Früchte, die noch restweise in Pilgerhöhe hängen, bis spanische Pilger vorbeikommen und mir klar machen, dass ich das lieber, ohne die Kirschen zu waschen, lassen sollte. Hier in Spanien wird alles gespritzt, auch die Früchte, was zu Magenproblemen führen kann. Ich hoffe sehr, dass die Regenduschen der letzten Tage die Kirschen ausreichend gereinigt haben.
    In diesem Zusammenhang fällt mir auf, dass ich in den letzten Tagen immer wieder, vor allem in den Weinbergen, Traktoren mit Gifttanks, die ihre Fracht per Propeller und Schlauch verteilen, gesehen habe. Welch eine verrückte Welt, in der selbst der Wein und die Kirschen Schadstoff belastet sind! Danach legt sich meine Freude über die schönen Kirschen rasch, zumal es wieder einmal anfängt zu regnen. So allmählich stört mich das Wetter richtig, denn da hätte ich auch in Deutschland wandern können, zumal dort zurzeit schöneres Wetter als hier in Spanien ist. Ich ziehe mir wieder die volle Ausrüstung an und packe meinen Rucksack gut ein.
    Der Weg gestaltet sich endlos, im Regen Weinberge rauf und runter, dazwischen eingepackte Pilger mit gesenkten Köpfen zuhauf. Ist das vielleicht die Ehrfurcht vor dem Herrn, die so den Pilgern abverlangt wird? Bei diesen vielen Menschen, die alle mit gesenkten Köpfen zu Fuß unterwegs sind, mache ich mir darüber so meine Gedanken. Ist das ein Mittel, uns alle »klein« zu kriegen, ohnmächtig dem Wetter ausgesetzt, stets den Blick auf riesige, alte Kirchen in Demut und Bewunderung?
    Mir macht das Ganze so, bei diesem ekligen Wetter, nun wirklich keinen Spaß mehr.
    Kurz vor Villafranca Del Bierzo — es ist inzwischen 13.30 Uhr und ich bin seit gut sechs Stunden unterwegs — brauche ich eine Pause, ganz dringend und ganz lange. Alles ist

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