Wenn nicht jetzt, wann dann?
nass, und ich setze mich auf einen Stein, um auszuruhen. Um ein Baguette fertig zu machen, ist es zu nass, also gibt es gesalzene Erdnüsse aus der Tüte, eine Überbrückungshilfe. Ich habe mir angewöhnt, immer kurz vor dem Eintreffen in den Ortschaften eine ausreichend lange Pause zu machen, um auf diese Art die Quartiersuche besser hinzubekommen, damit ich noch etwas Kraft habe.
Kurz vor meinem Ziel geht es wieder einmal bergauf, endlos erscheinend. Auch wenn es inzwischen aufgehört hat zu regnen, fühle ich mich sehr angestrengt. Meine Gedanken schweifen zu den Kriegszeiten, als viele Soldaten und Flüchtlinge endlos lange Strecken laufen mussten, in Kälte und ohne ausreichende Verpflegung. Vielleicht fange ich allmählich an, zu verstehen, was diese Menschen geleistet und erlitten haben.
In Villafranca Del Bierzo angekommen, erreiche ich wieder einmal zuerst die Pilgerherberge. Es begrüßt mich ein deutsch sprechender Herbergsvater aus Osnabrück. Ich frage nach den Schlafmöglichkeiten. Schlafsäle mit 38 Betten, nein danke, ich suche mir selbst etwas. Ich erhalte meinen Pilgerstempel und verlasse diese Herberge mit einem in meinen Augen unfreundlichen Klima. Im Zentrum des Ortes trinke ich etwas und mache mich dann auf die Suche nach einem hostal, muss wieder mehrfach fragen, um dann nach circa einer halben Stunde Fußweg eine schöne Unterkunft, für aber immerhin 22,50 €, zu finden. Mir ist heute alles egal, auch der Preis, ich bin k. o. und brauche Pause. Einziehen, mich ausziehen, duschen, im Bett essen und eine gute Stunde schlafen — das ist es, was ich jetzt brauche.
Als ich um 17.30 Uhr wach werde, möchte ich fast liegen bleiben, doch die Neugierde siegt wieder einmal. Ich stehe auf, und als ich aus dem Fenster sehe, stelle ich fest, dass ich von meinem Zimmer aus einen herrlichen Blick auf einen großen Fluss habe. Schön!
Beim Hinausgehen aus meiner Pension treffe ich das deutsche Pärchen, das dort auch wohnt, wieder. Sie erzählen mir, dass sie ebenso wie ich Pensionen bevorzugen, nachdem sie gleich am Anfang ihrer Reise nach den ersten Übernachtungen in den Herbergen morgens mit heftigen Hautausschlägen aufgewacht waren. Für sie war das Grund genug, künftig stets eine Privatunterkunft auszusuchen. Diese Aussage bestätigt mich in meinem Entschluss, immer individuelle Quartiere zu beziehen, denn auf solch unliebsame Begleiterscheinungen während meiner Reise habe ich nun auch absolut keine Lust.
Ich mache mich auf den Weg in den Ort und sehe mir zwei wundervolle Kirchen, ein Schloss aus dem 12. Jahrhundert und die alte, entzückende Innenstadt an. Es ist eine Augenweide, diese Natursteingebäude in solch immenser Höhe und Perfektion zu betrachten. In der Touristinformation erhalte ich dann schließlich Planungshilfe für den nächsten Tag.
Das nächste Etappenziel beinhaltet wieder einen steilen Anstieg im Gebirge, und ich habe mich entschlossen, diese Etappe mit dem Bus zu fahren. Im Touristenbüro erfahre ich nun, dass der Bus morgen zweimal — morgens und nachmittags — in Richtung Pedrafita fährt, aber keine feste Haltestelle hat. Ich soll den Bus an der Umgebungsstraße anhalten, und dieser wird mich dann mitnehmen. Na, auf diese abenteuerlustige Busfahrt bin ich gespannt! Wenn das alles nicht klappt, muss ich wohl doch laufen. Heute Abend bin ich wieder mal nur eines: müde und brauche eine frühe Nachtruhe.
Zwischenspiel
Kann es sein, dass ich schon »Bergfest« hatte? Unglaublich, ich habe gar nicht daran gedacht, dass ich inzwischen fünfzehn von meinen dreißig Tagen verbraucht habe. Diese Mischung aus körperlicher Anstrengung und tausend neuen Eindrücken erschlägt einen. Ich weiß nicht mehr, welcher Wochentag, welches Datum ist, ich esse, wenn ich hungrig bin, und schlafe, wenn ich müde bin. Nichts anderes ist mehr wichtig, alles was zählt, ist nur der Weg, der camino, der mich so ganz gefangen hält. Alles was dazu kommt, wie Postkarten schreiben, SMS oder Mail nach Hause, ist im Grunde zu viel, stört bei dem vorgenommenen Ziel. Einsamkeit kommt nicht auf, keine Zeit für Einsamkeit, keine Kraft, alles egal, zumal alle Pilger gesprächsbereit und kontaktfreudig sind. Ich fühle mich, auch wenn ich mal alleine laufe, immer in die große Familie der Pilger integriert, die mich beim Überholen begrüßen, unter denen ich immer wieder Bekannte von vor ein paar Tagen treffe.
17. Tag:
Villafranca Del Bierzo — Pedrafita (23 km), Pedrafita — Biduedo (16,7
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