Wenn nur dein Lächeln bleibt
unaufhörlich über die Wangen. Dieses Bild würde ich nie wieder vergessen: Wie mein sonst so fröhliches, ausgeglichenes Kind, das Bernd wie immer aus der Kindertagesstätte abgeholt hatte, krampfte, nach Luft rang und an seinem eigenen Speichel zu ersticken drohte.
»Wir machen jetzt ein EEG , und dann sehen wir weiter!« Mit wehendem Kittel rannte die Ärztin hinter dem Gitterbettchen her, in dem man unsere Anja im Laufschritt durch die gekachelten Flure schob.
»Anja! So lassen Sie mich doch zu meiner Toch ter!« Verzweifelt versuchte ich hinterherzurennen, aber man schlug mir die Tür vor der Nase zu.
»Nehmen Sie Ihre hysterische Frau mit nach Hause«, befahl eine Kinderschwester. »Sie gefährden hier unsere Arbeit.«
»Anjas mühsam antrainierte Nervenbahnen wurden auf einen Schlag zerstört!«, schrie Bernd. Seine Halsschlagader pochte wie wild. »Meine Frau hat drei Jahre lang jeden Tag stundenlang mit ihr geübt! Jetzt ist sie wieder auf dem Stand einer … Amöbe!«
»Reden Sie keinen Blödsinn! Mischen Sie sich nicht in unsere Angelegenheiten ein!« Die Krankenschwester schob uns energisch zum Ausgang. »Solche ignoranten Leute wie Sie haben uns hier gerade noch gefehlt!«
Sechs Wochen lang besuchte ich meine kleine Anja täglich nach der Arbeit im Kinderkrankenhaus. Sie starrte mit leerem Blick an die Decke, nahm mich gar nicht wahr. Man hatte sie mit Medikamenten vollgepumpt, sie reagierte auf nichts mehr. Ich knallte ihre Zimmertür bewusst laut zu, und sie zuckte noch nicht mal mit der Wimper. Dennoch sprach ich mit ihr, badete sie täglich, ließ ihr all die Streicheleinheiten zukommen, die sie von zu Hause gewöhnt war. Ich sang die Kinderlieder und Reime, die »wir« bei Susanne gelernt hatten, pustete ihr auf den Arm, damit sie meinen warmen Atem spüren konnte. Irgendeine Er innerung musste doch noch bei ihr wachzurufen sein! Doch ich hielt eine wächserne Puppe im Arm. Meine Anja war apathisch, leblos, schläfrig. Immer wieder fielen ihr die Augen zu. Das Füttern war eine endlose Tortur. Ihr lief der Brei rechts und links wieder aus den Mundwinkeln. Sie schluckte nicht, war einfach nur eine leere Hülle! Ich war verzweifelt, aber ich gab nicht auf. Ganze Nächte saß ich bei Anja. Bernd, der nach seiner Arbeit immer dazukam, hielt sie wach, klopfte ihr auf die Wange, und ich schob ihr stoisch Löffel um Löffel in den Mund. Sie wäre uns sonst verhungert. Die Schwestern waren vermutlich sogar dankbar, dass man ihnen die Arbeit abnahm, und ließen uns gewähren. Sie hatten nicht die geringste Ahnung, wie sie mit so einem hilflosen Wesen umgehen sollten. Zur Not hätten sie Anja einfach an den Tropf gehängt.
Irgendwann durfte ich die nach wie vor völlig apathische Anja mit nach Hause nehmen. Diesmal behaupteten die Ärzte wenigstens nicht, mir ein »vollkommen gesundes« Kind mitzugeben.
In unserer kleinen Wohnung lag Anja schläfrig auf dem Sofa, die Augen auf Halbmast. Sie reagierte auf keine unserer früheren Therapien, sogar ihr schönes Lachen war wie weggeblasen. Was hatte sie früher gejauchzt, wenn Bernd nach Hause gekommen war! Was hatte sie gequietscht, den Mund weit aufgerissen und den Kopf gedreht, wenn wir das Radio aufgedreht hatten! Was hatte sie aufgeregt mit den Beinen gestrampelt, wenn wir sie für einen Spaziergang hergerichtet hatten!
Heute hätten wir sie stundenlang allein in der Wohnung lassen können wie einen leblosen Gegenstand, und sie hätte es nicht mal gemerkt.
Wir waren verzweifelt. Selbst Bernd war am Boden zerstört. Greifen, Krabbeln, Laute bilden, Kauen, Schlucken, ja sogar aufs Töpfchen gehen – alles, was Anja schon gekonnt hatte, war für die Katz gewesen. Weinend schlugen wir mit den Fäusten auf unsere Sofakissen ein – sehr zur Freude von Frau Kraller, die wieder mal mit dem Besenstiel an die Decke klopfte.
Wenigstens die reagierte. Wenigstens die!
Das Krankenhaus ließ uns alle paar Wochen »zur Kontrolle« antanzen. Nicht DIE und ihr Fehlverhalten wurde kontrolliert, sondern WIR .
»Wir setzen die Tabletten ab und probieren neue.«
Sobald die Tabletten oder ihre Dosis verändert wurde, krampfte Anja wieder, und das ganze Theater mit Rettungswagen und Krankenhaus ging wieder von vorne los. Also setzte man sie wieder massiv unter Drogen. Dass diese Medikamente starke Nebenwirkungen hatten, blieb uns nicht lange verborgen: Anja produzierte auf einmal so viel Schleim, dass wir ihn ständig mit Zellstoff aus Mund und Nase entfernen
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