Wenn nur dein Lächeln bleibt
ihren Pudding bekam. Die stieß bereits Laute aus, die Fuchs und Hase vertrieben. Doch wir Eltern verstanden jedes gurgelnde Stöhnen, jedes Freudengeheul oder Frustgeschrei. Einträchtig fütterten wir unser Kind, wickelten das sich heftig windende Mädchen, aßen dann selbst mit Genuss und teilten uns eine Flasche Bier.
»Ach, Bernd!«, seufzte ich schließlich. »Warum ist nur alles so schwer?«
Bernd zeigte auf Anja, die zufrieden brabbelnd auf der Decke lag und versuchte, die Wolken zu fangen. »Warum bist du eigentlich traurig?«, sagte er. »Schau dir dieses Kind doch nur einmal an! Macht es etwa einen unglücklichen Eindruck?«
»Nein. Aber Heidemechels hat gesagt, sie sei ein Sorgenkind …«
»Das ist alles relativ.« Bernd riss einen Grashalm aus und versuchte darauf zu pfeifen. »Viel größere Sorgen mache ich mir um ihn: Er ist nicht halb so glücklich wie Anja.«
»Da hast du sicher recht«, seufzte ich und schmiegte mich an ihn.
Bernd pfiff laut auf dem Grashalm. »Ha!«, rief er begeistert. »Hat Händel eigentlich auch ein Werk für Orchester und Grashalm geschrieben? Und wenn du das Arschgesicht Heidemechels das nächste Mal siehst, sag ihm schöne Grüße von Anja. Er kann sie mal Götz von Berlichingen.«
»Ja, wir Sachsen-Anhaltiner sind stolz auf unsere berühmten Söhne«, sagte ich milde lächelnd.
»Und auf unsere Töchter auch«, erwiderte Bernd, beugte sich vor und drückte Anja einen Kuss auf die Wange.
» Meinst du, unser Kind wird niemals sprechen lernen?«
Wir trabten gemeinsam hinter dem Kinderwagen her, bahnten uns an einem Freitagnachmittag den Weg durch das Menschengewühl. Gerade waren wir wie der einmal beim Kinderarzt gewesen, hatten stunden lang im Wartezimmer gesessen und waren angestarrt worden: Anja stieß gurgelnde Laute aus, schlug mit unkontrollierten Bewegungen um sich, ließ sich nur mühsam mit dem Löffel breiartige Nahrung einflößen, was natürlich nicht ohne Ferkeleien auf unserer Kleidung und dem Fußboden abging.
Manche Leute hatten sich und ihre Kinder angewidert weggedreht.
»Ihr Kind kann nicht kauen, hat immer noch keinen Saugreflex, kann weder aus der Babyflasche noch aus der Tasse trinken, und das mit inzwischen drei Jahren?«, fragte der Arzt.
»Genau. Was können wir tun, Herr Doktor?«
»Ich fürchte gar nichts. Der Kiefer Ihrer Tochter ist genauso gelähmt wie ihre Gliedmaßen. Sie müssen sie weiterhin mit dem Teelöffel am Leben erhalten.«
»Das tun wir, Herr Doktor. Aber wie können wir mit ihr trainieren, damit sie wenigstens eines Tages Mama sagt?«
Meine Stimme klang plötzlich ganz brüchig. »Es wäre nur eine kontrollierte Silbe! Und vielleicht Papa«, fügte ich mit einem Seitenblick auf Bernd kleinlaut hinzu.
»Hm.« Der Kinderarzt rieb sich nachdenklich über die rasierte Wange. »Ich verstehe Ihren Wunsch, liebe Frau Hädicke. Normalerweise verschreibe ich Logopädie, also Sprachtherapie. Aber bei Ihrem Kind …« Er schaute Anja kopfschüttelnd an, und in seinen Augen stand das vernichtende Urteil »hoffnungsloser Fall«. »Bei Ihrem Kind hat das einfach keinen Zweck«, sagte er schließlich.
»Aber wie können Sie nur so etwas behaupten!«, brauste Bernd auf. »Wissen Sie, was meine Frau alles schon erreicht hat durch ihre Übungen mit Anja? Bis zu sechs Stunden täglich hat sie mit ihr trainiert! Anja kann auf allen vieren krabbeln und versucht zu greifen. Sie reagiert auf Lob und Anerkennung! Sie WILL lernen!«
»Das ist ja alles gut und schön«, wiegelte der Kin derarzt ab. »Freuen Sie sich an Ihren kleinen Erfolgen. Aber der Staat zahlt Logopädie nur in aussichtsreicheren Fällen. Für Stotterer oder so.«
»Ach ja?«, schaltete sich Bernd ein. »Und welche Aussichten hat meine Tochter Ihrer Meinung nach, wenn sie keinerlei Therapie genehmigt bekommt?«
Der Arzt schien das Gespräch für beendet zu halten. Er öffnete bereits die Tür zum Wartezimmer.
»Gibt es in unserem Staat etwa Menschen zweiter Klasse?« Mir liefen schon wieder die Tränen über die Wangen. Verzweifelt drückte ich meine kleine Tochter an mich. »Ich dachte, unser Staat ist so um Gerechtigkeit bemüht …«
»Angela, Schatz!« Bernd drückte sanft meinen Arm.
Der Arzt verkniff sich ein mitleidiges Lächeln. »Tja, leider kann ich Sie nicht an eine Sprachtherapie überweisen. Nicht auf Staatskosten. So sind nun mal die Regeln. Der Nächste bitte!«
Mit diesen Worten wurden wir freundlich, aber bestimmt hinauskomplimentiert. Und
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