Wenn nur dein Lächeln bleibt
mussten – sie wäre sonst erstickt. Und das nicht nur zu Hause, sondern auch auf der Straße, in öffentlichen Gebäuden, im Kaufhaus, im Bus – ja in ihrer Einrichtung, in die wir sie gezwungenermaßen wieder brachten. Jetzt starrten uns die Leute noch viel angewiderter an als früher. Aber wir mussten unseren Alltag irgendwie bewältigen. Wir waren eine Familie, die am Wochenende einkaufen muss, so wie alle anderen auch!
Eines Tages hetzten wir mit Anja, die inzwischen in einer Art Kindersportwagen festgezurrt lag, zur Kaufhalle, wo es ausnahmsweise Rindfleisch geben sollte. Das MUSSTEN wir ergattern, wenigstens eine winzige Portion, damit wir es für unsere Anja pürieren und ihrem geschwächten Körper zuführen konnten. Vor der Kaufhalle standen wie üblich mehrere Kinderwägen, denn die sperrigen Gefährte durften nicht mit hinein. Eine riesige Menschentraube wartete ergeben darauf, endlich an die Reihe zu kommen. Ich stand beim Rindfleisch an und Bernd bei Klopapier und Seife, als folgende Durchsage aus dem Lautsprecher kam: »Die Mutti von dem Kind im grünen Sportwagen muss sofort nach draußen kommen! Das Kind erstickt!«
Bernd ließ sein Klopapier fallen und bahnte sich hastig einen Weg hinaus. Ich selbst zögerte noch, ob ich meinen Platz in der Rindfleischschlange kampflos aufgeben sollte, denn wir waren diese Erstickungsanfälle schon so gewohnt wie andere Eltern Schluckauf oder Nasenbluten. Es genügte ja, wenn einer von uns nach dem Rechten sah. Aber da schrie die Stimme noch panischer: »Die Mutti von dem Kind im grünen Kindersportwagen bitte SOFORT nach DRAUSSEN KOMMEN ! Das Kind ERSTICKT !«
Nun hielt mich nichts mehr, und ich kämpfte mich so schnell ich konnte durch die Menschentraube, die sich inzwischen um den Kinderwagen gebildet hatte. Die Leute wollten meinen Bernd doch glatt nicht durchlassen! Sie hielten ihn für einen Gaffer! Schließlich war eine »Mutti« ausgerufen worden!
»So hol doch einer die Polizei! Krankenwagen! Notruf!«, schrie eine Frau.
Anja schäumte wie eine überlaufende Badewanne. Das Kind war fast gar nicht mehr zu sehen.
»Lassen Sie mich durch!«, schrie Bernd und stieß die Umstehenden grob zur Seite. »Ich bin der Vater!«
Ich reichte ihm geistesgegenwärtig das Klopapier, das er fallen gelassen hatte, und gemeinsam befreiten wir unser armes Mädchen von seinem Schleim. Die Leute machten »Iiih«, und so mancher Besserwisser schnaubte: »So eine Verantwortungslosigkeit« und »So was müsste man beim Jugendamt melden«. Eine grauhaarige Vogelscheuche hinter mir ließ sich sogar zu der spitzzüngigen Bemerkung herab: »Die Gier nach Rindfleisch war eben größer als die Mutterliebe!«
Ich hätte ihr am liebsten mit dem restlichen Klopapier das Maul gestopft, aber Bernd zog mich aus der gaffenden Menge: »Damit müssen wir leben, Angela. Zieh dich warm an, es wird noch schlimmer kommen.«
Ich drängte tapfer die Tränen zurück und versuchte, mein Herzklopfen wieder unter Kontrolle zu bekommen, während Bernd den Kindersportwagen aus der Gefahrenzone schob. Er hatte bereits eine Lösung für das Problem. In einem alternativen Vietnamesen-Laden kaufte er ein Umhängetuch. »Die Reisbauern nehmen ihre Kinder auch mit aufs Feld!« Von nun an trug er das immer schwerer werdende Kind ständig vor dem Bauch mit sich herum. Auch beim Schlangestehen. Egal, was die Leute sagten, wir haben Anja nie wieder auch nur eine Sekunde irgendwo unbeaufsichtigt stehen lassen.
» E ine Absaugpumpe! Wir brauchen eine Absaugpumpe!«
Bernd lief nervös in unserer winzigen Wohnung hin und her. Wir vermüllten sie regelrecht mit den Zelltüchern, mit denen wir unser Kind von seinem Schleim befreiten.
»Die haben so was im Krankenhaus!«
»Ich gehe zur Kinderärztin!« Entschlossen packte ich Anja, zurrte sie in ihrem Gefährt fest und machte mich wieder einmal auf den Weg.
Diesmal ging ich zu einer besonders netten Ärztin, eine, die dafür bekannt war, erst einmal zuzuhören und einen nicht gleich anzuschreien. Frau Dr. Ballauf hatte ihre Kinderarztpraxis zwar am anderen Ende der Stadt, aber ich wusste aus Erfahrung: Dieser stundenlange Fußmarsch lohnt sich.
»Frau Doktor, ich möchte Sie einfach nur um ein Rezept bitten«, keuchte ich, als ich ihr endlich gegenübersaß. »Schauen Sie sich den Schleim unseres Kindes an!«
»Ja, was sagen denn die Ärzte im Kinderkran kenhaus dazu?« In ihrem Gesicht stand aufrichtiges Mitgefühl.
»Gar nichts. Ursache
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