Wenn nur dein Lächeln bleibt
schoben Anja wieder mal völlig frustriert vor uns her.
»Wir versuchen es privat.« Bernd stapfte wild entschlossen voran. »Ich habe eine Kundin, die Logopädin ist und selbst drei kleine Kinder hat.« Bernd bog plötzlich in eine Seitenstraße ein.
»Wo willst du hin?«
»Zu ihr! Sie wohnt hier gleich am Rande des Parks. So.« Entschlossen klingelte Bernd an der Haustür. Kindergeschrei kam uns entgegen, als eine sympathische junge Frau aufmachte. Ihr rötlichblondes Haar hatte sie locker hochgesteckt, und an ihren Händen klebte Teig. Als sie ihn hastig an ihren Hosenbeinen abwischte, spähte ein kleiner Junge neugierig hinter ihr hervor.
»Herr Hädicke!«, sagte sie strahlend. »Eben noch dachte ich, wie schön es wäre, wenn mal jemand nach meiner Waschmaschine schaut.« Sie zwinkerte mir zu. »Und Sie sind also Angela! Und das ist Anja?! Kommen Sie doch herein, ich mache uns einen Tee!«
Ganz überwältigt von so viel Herzlichkeit folgte ich der Frau in den Flur. Bernd schleppte bereits Anja mitsamt ihrem Wagen herein. Überall hingen Kindermäntelchen, Mützen, Handschuhe. An den Wänden klebten Bilder von Kinderhand. Ach, wenn meine Anja doch einmal so ein Strichmännchen zusammenbrächte!, schoss es mir durch den Kopf. Wenn sie nur mit Farbe herummatschen könnte! Wie gern würde ich sie die ganze Wohnung verwüsten lassen!
»So, hier entlang. Am besten, wir gehen einfach in die Küche.«
Am Küchentisch saßen zwei kleine Mädchen, Zwillinge, in Anjas Alter. Sie hatten gerade mit ihrer Mutter Kekse gebacken.
Ach, wenn ich doch einmal mit Anja Kekse backen könnte!, dachte ich sehnsüchtig. Mir wollten fast die Tränen kommen, als die herzliche Gastgeberin mir eine Tasse Tee und noch ofenwarme Kekse hinstellte: »Probieren Sie mal, ich weiß nicht, ob sie gelungen sind. Susanne heiße ich übrigens. Und das sind Eva und Flora.«
»Angela. Und das ist Anja.«
»Hallo!«, sagten die Kinder freundlich. Sie schauten Anja zwar verwundert, doch keinesfalls angewidert an, so wie die Leute vorhin im Wartezimmer. Susanne lächelte und nahm mir jede Scheu.
»Erst neulich hörte ich von einem Installateur, dessen Tochter noch nicht sprechen kann. Ich habe ihm gesagt, dass ich gerne mit ihr arbeite, wenn er sich meiner Waschmaschine annimmt. Denn bei drei Kleinkindern fällt doch ziemlich viel Wäsche an …« Susanne plauderte fröhlich weiter, nahm ganz selbstverständlich meine Anja auf den Schoß und ließ ihre eigenen drei Kleinkinder ebenfalls an unserer ersten »Sitzung« teilhaben. Sie forderte die Kinder auf, Wattebäuschchen über den Tisch zu pusten. Auf diese Weise sollten sie lernen, ihre Lippenbewegungen besser zu kontrollieren.
Ihre drei waren schwer begeistert. Kekskrümel flogen durch die Luft, es wurde gekichert und laut ge lacht. Auch Anja jauchzte und quietschte, pustete aber erwartungsgemäß nicht.
»Geben Sie ihr Zeit!«, tröstete mich Susanne, die meinen wehmütigen Blick richtig deutete. »Das geht nicht von heute auf morgen. Kommen Sie einfach nächste Woche wieder.«
Und so bekam Anja doch noch ihre Sprachtherapie, drei Jahre lang. Bei der nettesten, warmherzigsten und verständnisvollsten Logopädin der Stadt. Wir sangen Kinderlieder, ahmten Tiergeräusche nach und sagten Kinderreime auf. Auch wenn es mir wehtat zu sehen, in welchem Tempo ihre eigenen Kinder lernten, war Susanne die reinste Oase in einer sonst so gefühlskalten, paragrafenbestimmten Welt.
Sprechen gelernt hat Anja nicht. Genauso wenig wie Kauen.
Sie wird noch heute mit dem Teelöffel gefüttert.
13
»Sie haben W AS getan?« Bernd presste unser krampfendes Kind verzweifelt an seine Brust.
Wir waren mit Blaulicht in die Notaufnahme der Kinderklinik gerast, nachdem Anja entsetzliche Krampfanfälle bekommen hatte.
»Wir haben das Kind heute ganz normal in der Kindertagesstätte gegen Diphtherie, Keuchhusten und Masern geimpft«, keifte die Ärztin. »Das steht in den Statuten!«
»Sie hätten uns Eltern doch vorher fragen müssen!«
»Von wegen!«, sagte die Ärztin eingeschnappt. »Wir machen das routinemäßig in allen Kindertagesstätten. Da wird nicht lange rumdiskutiert und nach Sonderwünschen gefragt! Wo kämen wir denn da hin!«
»Aber Sie hätten unsere Anja fast umgebracht!«
»Papperlapapp!« Die Ärztin riss uns Anja aus der Hand und lieferte sie den bereitstehenden Pflegern aus: »Die wird jetzt erst mal ruhiggestellt, und dann hört die auf zu krampfen.«
Mir liefen die Tränen
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