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Wenn nur noch Asche bleibt

Wenn nur noch Asche bleibt

Titel: Wenn nur noch Asche bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauss
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gefällt mir nicht“, bemängelte der Maya. „Ich habe dich nicht besetzt. Und ich habe auch nicht deinen Körper genommen. Dein Lehrer hatte recht. Ich war dein Gefährte. Ich lebte, litt und freute mich mit dir. Ich sah die Welt durch deine Augen und nahm teil an deinen Gefühlen.“
    „Etwa auch …“ Daniel spürte Hitze aufwallen. Zahllose peinliche Dinge kamen ihm in den Sinn, von denen er stets gehofft hatte, niemand würde von ihnen erfahren. „Hast du etwa auch …?“
    „Ja.“ Der Mann lächelte verschlagen. „Ich habe alles gesehen. Und manche Dinge ändern sich nie. Manchmal war es über die Maßen sonderbar, manchmal erschreckend. Dein Weg war nicht leicht, aber ich habe mein Bestes getan, dir als Freund beizustehen.“
    „Was meinst du damit?“
    „Ich bin nicht allwissend.“ Die sanfte Stimme des Mayas stand in seltsamem Kontrast zu seiner wilden Erscheinung. „Aber als körperloses Geistwesen stehe ich bis zu einem gewissen Grad über dem Lauf der Dinge und kann über die Gegenwart hinausblicken. Wenn ich wusste, dass du dabei warst, die falsche Entscheidung zu treffen, half ich dir, den richtigen Weg wieder aufzunehmen.“
    „Du hast mich manipuliert?“
    Er lächelte. „Nicht mehr, als ein gewöhnlicher Freund es tut, der dir nahesteht. Ich könnte dich zu nichts zwingen, ich kann dir nur ein Gefühl für das Richtige vermitteln.“
    „Du hast mich verändert.“ Daniel konnte seinen Blick nicht von dem Mann losreißen. Es war, als stünde sein Bruder vor ihm. Er erkannte sich selbst wieder, in der Art, wie der Maya sich bewegte, wie er seine Gesten vollführte und seine Mimik spielen ließ. „Mein Äußeres hat sich deinem angepasst.“
    „Nur in geringem Maße“, konterte der Krieger. „Wir waren uns auch vorher schon ähnlich.“
    „Ich hatte mal braunes Haar und grüne Augen.“
    „Ach ja?“
    „Wenn es stimmt, was du sagst, dann weißt du das ganz genau. Also tu nicht so.“
    Der Maya winkte schnaufend ab. „Warum beschwerst du dich? Sieh mich an. Dank natürlicher Auslese war mein Volk schön, gesund und stark. Es gibt wohl Schlimmeres, als mir ähnlich zu sehen. Heutzutage sehen zwei von drei Menschen aus wie gemästete Tapire. Wobei ich damit die Tapire beleidige.“
    „Was auch immer, hör auf, mich in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Ich will ich sein.“
    Der Maya kniff die Augen zusammen. „Das bist du, Daniel. Warum habe ich dich wohl als Gefäß benutzt? Wir gehören zusammen. Unsere Wege sind miteinander verflochten, wenigstens so lange, bis ich endlich meine Ruhe finde und gehen kann.“
    „Unsere Wege gehören zusammen? Warum? Was habe ich mit dir zu tun?“
    Der Maya hob einen Arm, als wollte er Geduld einfordern. „Um dir das zu erklären, lass uns einen freundlicheren Ort suchen. Im Übrigen, mein Name lautet Moa’ri.“
    Er sprach es scharf und mit heftig rollendem „r“ aus. Der archaische Klang dieses Namens jagte Daniel einen wohligen Schauder über den Rücken. „Mein Name dürfte dir wohl bekannt sein“, erwiderte er.
    Der Krieger nickte und lächelte. Er griff nach seiner Hand, umschloss sie mit warmen, starken Fingern und zog ihn in einen wirbelnden Strudel aus Schwärze. Endlos scheinende Momente war er gefangen in einem Wirbelsturm, der ihn durch ein stilles Universum schleuderte. Sekunden wurden zu einer Ewigkeit, die Ewigkeit zu Sekunden. Das Zeitgefühl löste sich auf. Als Daniel auf weichen Waldboden niederfiel, war es ihm, als wäre er binnen zweier Atemzüge um Jahrtausende gealtert. So musste es sich anfühlen, durch ein schwarzes Loch zu reisen. Alles war gleich geblieben, wenn man daraus zurückkehrte. Und doch war nichts mehr, wie man es kannte.
    „Willkommen in meiner Heimat.“ Moa’ri trat zurück und vollführte eine ausholende Geste. „Oder zumindest in meiner Illusion davon. Gefällt sie dir?“
    Er stemmte sich hoch und ließ seinen Blick schweifen. Um ihn herum wucherte schwärender, duftender Dschungel. Alles war so, wie Elena es beschrieben hatte. Orchideen schillerten in grüner Dämmerung. Rot, violett, zartgelb und orange. Gerüche nach Erde, faulendem Laub und Blüten schwängerten eine feuchtwarme Luft, die so dick war, als atmete man puren Wasserdampf. Palmwedel troffen vor Nässe, Vögel wie Juwelen flatterten in den Baumwipfeln und begrüßten sie mit krächzenden und pfeifenden Liedern.
    Neben ihm lag ein Jaguar, groß, geschmeidig und mit halb geschlossenen Augen, doch die Angst, die er hätte empfinden

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