Wenn nur noch Asche bleibt
Kreis herumtreiben. Welche Meinung ist nun verrückter? Notgeile Böcke, die zufällig genau wissen, wie der Goldene Schnitt berechnet wird … oder Künstler aus dem All?“
„Mir egal. Ich zieh mich erstmal um.“
Elena verschwand im Bad, zog ihren Lieblings-Schlafanzug aus rotem Flanell an und suchte für Daniel die dunkelblaue Jogginghose und das schwarze Shirt heraus, das einer ihrer Verflossenen zurückgelassen hatte. Sie hatte das Zeug behalten, weil sie es der Bequemlichkeit wegen selbst trug, aber diese kleine Anekdote würde sie Daniel lieber verschweigen. Genau wie die Tatsache, dass sie in warmen Monaten zum Schlafen nichts weiter trug als schwarze Boxershorts. Ebenfalls ein Andenken an eine frühere Beziehung.
„Steht dir gut“, befand sie, nachdem Daniel seine Kleidung getauscht hatte. Leider im Bad hinter verschlossener Tür. „Sitzt wie angegossen.“
Zumindest oberflächlich entspannt ließ er sich in einen der beiden dunkelblauen Sessel fallen, die vor der Balkontür standen. Elena nahm im zweiten Platz. Draußen tanzten die Lichter der Schiffe auf dem schwarzen Wasser des Hafens, manche so weit draußen, dass sie klein und fern wie Sterne funkelten. Daniels Blick ging ins Leere, das Schweigen zwischen ihnen schien ihn nicht zu stören. Es war schwer, sein von Melancholie überschattetes Gesicht nicht unhöflich anzustarren. Sie wollte wissen, was er dachte. Was er fühlte. Offenbar ging ihm Rebeccas Verrat nahe, vielleicht irrte sie sich aber auch. Alles an diesem Mann stürzte sie in Verwirrung. Er war vollkommen und ganz und gar undurchschaubar. Geduldig trank sie ihren Kaffee, wartete, dass er sich entschied, ein Gespräch zu beginnen. Eine gute halbe Stunde verging, ehe er das Wort ergriff.
„Du gehörst also zu den Menschen, die nur das glauben, was sie anfassen können?“
„Und was sie deutlich vor sich sehen.“
„Die Augen können leicht getäuscht werden.“ Er lächelte kryptisch. „Unsere Gehirne sind sehr anfällig für Manipulationen. Es passiert jeden Tag. Wenn du Zeitung liest, fernsiehst, Radio hörst, dich mit Menschen unterhältst. Du wirst permanent konditioniert.“
„Hm.“ Was sollte sie darauf sagen? Vermutlich hatte er recht. Ratlos starrte sie in ihre Kaffeetasse. „Aber lieber fernsehmüde als radioaktiv, oder?“
Er lachte über ihr Wortspiel. „Woran glaubst du, Elena? Sag es mir.“
„Keine Ahnung. Meinst du in religiöser Hinsicht? Dann halte ich einen Mann mit Rauschebart für genauso realistisch wie ein rosafarbenes, unsichtbares Einhorn.“
„Ich rede nicht von Religion. Ich will wissen, ob es etwas gibt, an das du glaubst. Einen roten Faden in deinem Leben. Einen Trost, der dir Halt gibt.“
„Also gut, ich glaube daran …“ Ja, woran glaubte sie? Dass ihr die Antwort so schwer fiel, war beunruhigend. „Ich glaube an das Schicksal.“
„Nicht schlecht, es sei denn, du nimmst das als Ausrede, dich auf deinen Lorbeeren auszuruhen.“
„Lorbeeren sind ein ungemütlicher Ruheplatz.“
„Yep. Wobei auch ich an das Schicksal glaube. Im Buddhismus bedeutet Meditation das mühelose Verweilen in dem, was ist. Das umschreibt es ganz gut.“
„Inwiefern?“
„Du bist dankbar für das, was du hast und belastest dich nicht mit dem, was du nicht hast. Du bist frei von der Gier nach Besitz. Nenne es innere Freiheit.“
„Schöner Gedanke. Aber manchmal zweifle ich daran, dass der Mensch in der Lage ist, zufrieden zu sein. Jedenfalls auf Dauer.“ Ihre Augenlider wurden schwer. Die Anstrengung des Tages forderte ihren Tribut, und wenn sie ehrlich war, musste sie gestehen, dass es sich gut anfühlte, hier mit Daniel zu sitzen. Es besaß einen gewissen Zauber. Beinahe etwas wie – Elena schalt sich innerlich eine hoffnungslose Romantikerin – Magie. Eine Weile starrten sie gemeinsam in die Nacht hinaus, wälzten Gedanken und genossen den Frieden des Augenblicks, wie es vermutlich nur jemand konnte, dessen Leben mit zu viel Gewalt und Blut angereichert war.
Irgendwann fiel Elenas Blick zufällig auf seine Kaffeetasse. Sie erstarrte. Was zum Teufel war das? Der Löffel kreiste leise klappernd darin herum, und zwar ohne dass Daniel ihn berührte. Lediglich sein Zeigefinger bewegte sich synchron ein paar Zoll darüber. Mit offenem Mund starrte sie auf das unmögliche Schauspiel. Veräppelte er sie? War da irgendwo ein Nylonfaden? Nein, sie sah absolut nichts. Daniel schien in Gedanken weit weg zu sein. Erst, als ihr ein fassungsloses Keuchen
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