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Wenn nur noch Asche bleibt

Wenn nur noch Asche bleibt

Titel: Wenn nur noch Asche bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauss
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nicht gelang, Ordnung hineinzubringen. Kopfschmerzen kündigten sich mit einem Flimmern vor ihren Augen an. Sie sehnte sich nach Schlaf, wusste jedoch, dass an Ruhe nicht zu denken war. Plötzlich fühlte sie sich wie Christine. Ausgelaugt, antriebslos, schattenhaft. Wie die Akteurin in einem psychedelischen Stummfilm. Schließlich, als Daniel zurückkehrte, stand sie auf und schleuderte ihm einen wilden Entschluss entgegen: „Heute Abend wirst du mit zu mir kommen. Ich muss mit dir reden.“
    Er nickte. „Ich hatte sowieso nicht vor, dich allein zu lassen.“
    „Ach nein? Weil jemand hinter dir her ist und mich als Köder benutzen könnte?“ Sein ruhiges Gesicht brachte sie in Rage. „Was verschweigst du mir? Warum diese Heimlichtuerei? Muss ich dich daran erinnern, dass wir alle dasselbe Ziel verfolgen? Wenn du etwas weißt, dann sag es mir. Sag es Smith. Sonst geht uns beiden der Arsch auf Grundeis.“
    „Die Wahrheit würde mir niemand glauben.“ Er ließ die Schultern hängen. Seine sonst aufrechte, kraftvolle Haltung schien zu schmelzen. „Ich kann es ihm noch nicht sagen. Genauso wenig wie dir. Verschüttetes Wasser ist schwer wieder aufzusammeln.“
    Elena starrte ihn an. Schließlich entschied sie, dass Geduld in diesem Fall am effektivsten war – und sie vor allem davon abhielt, ihm rechts und links eine zu scheuern.
    23:10 Uhr, 716 Stevens Avenue, Portland
    N
eugierig starrte er auf das dickflüssige Gebräu, das die Glasphiole zur Hälfte füllte. Es sah aus wie Zuckerguss. Harmlos und unscheinbar, aber das sagte nichts über den wahren Charakter dieser Kreation aus. In den letzten Monaten hatte er mit zahllosen Giften experimentiert. Trichternetzspinnen, Krustenanemonen, der als Curare bekannte eingedickte Saft südamerikanischer Lianen, LSD, Stechapfel. Selbst mit dem Gift des Blauringkraken, der Kegelschnecke und des Taipans hatte er geforscht. Perfektion war, wie so oft im Leben, schließlich aus einer fein abgestimmten Mischung aus verschiedenen Ingredienzien entstanden. Sich gegenseitig verstärkende, aufhebende oder verändernde Bausteine, die zusammen genau den Zauber im menschlichen Körper auslösten, den sie benötigten. Kein Schmerz, sondern süße Selbstaufgabe. Keine Angst, sondern ein Bewusstsein, das sich für die nächste Daseinsstufe öffnete. Für den Flug in die Freiheit und das Feuer der Erlösung.
    Vorsichtig tauchte er den Dorn in das Sekret. Es war dickflüssiger als das ursprüngliche Gift, fast geleeartig. Würde er es vollbringen können? Würde er diesen Stachel in die fleischliche Hülle jener Seele jagen können, die ihm mehr als alle anderen bedeutete? Schon die gedankliche Ausführung brachte ihn an den Rand seiner Beherrschung. Das Leben war absurd, eine Aneinanderreihung makabrer Zufälle, die nach dem Gesetz des Determinismus irgendwann einen Sinn ergeben würden. Oder auch nicht. Die schlimmste Vorstellung war, am Ende des Ganzen erkennen zu müssen, dass es gar keinen Sinn gibt. Dass alles nur ein Spiel ohne tiefere Bedeutung ist. Ein Schachbrett aus Schwarz und Weiß, auf dem sich irgendeine höhere Macht austobt.
    Monatelang hatte er sich darauf vorbereitet, Erlösung zu schenken und selbst zu erfahren. So lange hatte er damit verbracht, seinen Geist zu reinigen und zu öffnen. Eine mühsame Phase der Entwicklung, der eine einzige Entscheidung ihren Sinn genommen hatte. Ria hatte versagt. Genauso, wie Greg es erwartet hatte. Jetzt war er an der Reihe, sich zu beweisen. Aber wie sollte er Erlösung erlangen, wenn er einen unbezahlbaren Preis opfern musste?
    Nein! Er entlud seinen Zorn in einem wilden Knurren. Ausgeschlossen. Er konnte es nicht tun.
    Vorsichtig führte er den Dorn in das elfenbeinerne Blasrohr ein, strich zärtlich über dessen Schnitzereien und fragte sich, welche Geschichten es erzählen konnte. Ein namenloser Künstler hatte die elegante Waffe im Indien des siebzehnten Jahrhunderts erschaffen, herausgeschnitzt aus dem Zahn eines weißen Elefanten, so erzählte man. Das Blasrohr, filigran und unschuldig schön, hatte zahllosen Menschen den Tod gebracht. Erregung durchflutete ihn, gepaart mit Verzweiflung und Hass. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Er musste sich entscheiden. Für seine Erlösung oder für seine Liebe. Gab es eine Entscheidung, die schwerer wog? Während er die Lippen gegen das glatte Elfenbein presste und die beiden Schwerter an der Wand musterte, manifestierte sich eine Idee. Es war eine wahnwitzige Entscheidung, doch sie

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