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Wenn Tote schwarze Füße tragen

Wenn Tote schwarze Füße tragen

Titel: Wenn Tote schwarze Füße tragen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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eingeschüchtert verläßt
Gérard das Zimmer. Ich lese noch einmal die Nachricht, die meine Tante mir
hinterlassen hat. Dann werfe ich sie in den Papierkorb (die Nachricht, nicht
die Tante!) und beschließe, der schönen Mireille, dem Traum meiner Pubertät,
einen Höflichkeitsbesuch abzustatten. Ob sie mir etwas über Agnès sagen kann,
bezweifle ich. Wahrscheinlich ist das Mädchen keine ihrer Stammkundinnen. Aber
fragen werde ich Mireille auf jeden Fall.
    Das Telefon klingelt. Delmas, der
Journalist, meldet sich „zum Rapport“, wie er sich ausdrückt. Er nehme an, ich
wolle wissen, was in der Rue Bras-de-Fer abgelaufen sei.
    „Ja“, sage ich, „aber nur in groben
Zügen. Es sei denn, Sie haben wirklich Sensationelles zu berichten.
Einzelheiten interessieren mich im Moment nicht, ich hab’s eilig. Muß einen
Büstenhalter kaufen, und gleich schließen die Geschäfte.“
    „Na gut, wenn das so ist..
    Er kann mir nichts Neues erzählen. Die
Flics neigen zu der These, daß es sich um Mord handelt. Er selbst, Delmas,
versuche, soviele Informationen wie möglich über das Opfer zusammenzutragen.
Gegen 23 Uhr werde er eine Kaffeepause einlegen, deswegen schlage er vor, mich
dann in der Bar Mathieu zu treffen, Rue Omer-Refreger, zwei Schritte von
seiner Redaktion entfernt. Einverstanden.

Félix Faure & Co.
     
     
     
    Die Rue Daranaud — zu meiner Zeit hieß
die Straße anders — liegt kaum dreihundert Meter vom Littoral entfernt.
Also gehe ich zu Fuß. Es ist eine ruhige, bürgerliche Straße mit leicht
angestaubtem Charme. Mireilles Geschäft befindet sich im Erdgeschoß eines
zweistöckigen Hauses. Das Schaufenster bietet den bewundernden Blicken eine
glänzende Kollektion hübscher Dessous, angefangen von winzigen Hüfthaltern über
hauchzarte Negligés und kräftige Büstenhalter bis hin zu Spitzenhöschen.
    Als ich das fein duftende Geschäft
betrete, begrüßt mich lächelnd eine Brünette, die gerade die Blöße einer
Wachspuppe schmückend bedeckt. Ich erkundige mich, ob Madame Ducros zu sprechen
sei. Bevor die Frau antworten kann, wird ein Vorhang im Hintergrund zur Seite
geschoben, und jemand kommt steif und zackig auf mich zu.
    Es ist eine ganz und gar nicht mehr
junge, aber durch den häufigen Besuch in Schönheitssalons bewundernswert gut
erhaltene Frau. „Zwei Originale“, hat mein Onkel gesagt. Die schöne Mireille
ist zweifellos eins, im Stile von Marlene Dietrich, der aufregenden Großmutter
mit dem unverwüstlichen Sex-appeal. Ich weiß nicht, welchen Anblick das
Meisterwerk von Elisabeth Arden frühmorgens kurz nach dem Aufstehen bietet; im
Augenblick ist die Erscheinung der Alten jedenfalls faltenlos (bis auf die
Tatsache, daß sie sternhagelvoll ist!). Ihr Haar ist mit Henna gefärbt, ihr
Gesicht liebenswürdig, wenn auch ein wenig ordinär, ihre hervorspringenden
Wangen sind kunstvoll geschminkt, und ihre grauen Augen scheinen nah am Wasser
gebaut zu haben. Ein mattgraues, enges Kleid mit V-Ausschnitt betont ihre
üppige Figur.
    Bevor sie ihren sinnlichen Mund
öffnet, mustert sie mich mit der argwöhnischen Neugier der Betrunkenen.
    „Ich bin Madame Ducros“, sagt sie
dann. „Was kann ich für Sie tun?“
    Ihre Zunge gehorcht ihr beinahe
reibungslos, und ihre Stimme klingt kaum belegt. Ich kenne solche Saufbrüder
und — schwestern von Montparnasse. Sehr würdevoll. Kerzengerade. Und plötzlich
fallen sie der Länge nach hin, immer noch kerzengerade. Sie brauchen drei Tage,
bis sich ihre Muskeln wieder entspannen. Solche Exemplare gibt es jetzt also
auch hier, wenn ich das richtig sehe. Ja, Montpellier ist eine große Stadt
geworden!
    Ich nenne meinen Namen, woraufhin mich
die Frau sogleich breit angrinst.
    „Großer Gott!“ ruft sie gurrend. „Was
ist aus dem kleinen Kerl von damals geworden!“
    Sie reicht mir ihre Hand, und ich ergreife
sie.
    „Eben noch war Ihre Tante hier, sie
hat mir von Ihnen erzählt“, fährt sie fort. „Aber ich hatte natürlich schon den
Artikel im Echo gelesen. War gespannt, ob Sie mich besuchen kommen.“
    „Na ja, hier bin ich!“ erwidere ich
verdammt originell.
    Ich drücke immer noch ihre Hand.
Besser gesagt, sie drückt meine. Sobald ich kann, befreie ich mich. Madame
Ducros sieht auf ihre Armbanduhr.
    „Yolande“, sagt sie zu der Brünetten,
„es ist gleich Feierabend. Bitte schließen Sie heute mal ab.“
    Dann wendet sie sich wieder an mich.
    „Kommen Sie, Monsieur Burma. Wir
müssen unser Wiedersehen begießen! Sie werden doch

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