Wenn Tote schwarze Füße tragen
ersten Türknallen hat Mireille
meine vorwitzige Hand zur Seite geschoben und ist aufgestanden. Sie eilt auf
den Mann zu, eine Brust praktisch an der frischen Luft (was der Mann nicht zu
bemerken scheint), fällt ihm um den Hals und ruft:
„Oh, Gaston, Liebling! Wir haben
Besuch. Du errätst nie, wer es ist!“
Sie fängt an, es ihm zu erklären, und
ihr Liebling - niemand anderes als Monsieur Castellet persönlich, Ex-Krösus,
Ex-Bankrotteur, Ex-Legionär und Ex-Pachtherr meines verstorbenen Großvaters,
kurz gesagt, noch einer, der mich als Dreikäsehoch gekannt hat und es mich den
ganzen Abend spüren läßt — Monsieur Castellet also kommt erfreut auf mich zu,
drückt mir die Hand (um ein Haar hätte er meine Wange getätschelt und gesagt:
„Du lieber kleiner Kerl, du!“), und wir tauschen die üblichen
Höflichkeitsfloskeln aus.
„Na, das ist ja prima!“ ruft er und
kratzt sich die Handfläche der rechten Hand, sicherlich ein Zeichen seiner
Freude. „Wundervoll! Ich sehe, ihr habt das Wiedersehen schon begossen. Dann
werde ich mir schnell einen doppelten Whisky genehmigen, um euch einzuholen!
Wollen Sie auch einen, Burma? Sagen Sie nicht nein! Sie sind doch jetzt ein erwachsener
Mann. Diese Cocktails, das ist was für kleine Mädchen wie Mireille.“
Eine nicht sehr witzige Bemerkung. Er
selbst bemerkt es anscheinend und schickt ein gezwungenes Lachen hinterher.
Mireille zuckt die Achseln und sieht ihren Gaston merkwürdig an, während er
sich der Bar zuwendet.
„Zwei Originale“, hat mein Onkel die
beiden genannt. Ein Paar wie Katz und Hund, ja. Castellet hat Mireille
wahrscheinlich nie verziehen, daß sie ihn in den Ruin getrieben hat. Vermutlich
hat er sich wieder mit ihr zusammengetan, um sie zu schikanieren, um sich in
gewisser Weise zu rächen. Aber warum, zum Teufel, hat sie sich darauf
eingelassen? Ist sie schon dermaßen abgestumpft?
Castellet reicht mir ein Glas, wir
reden über dies und das, eins ergibt das andere, und ich werde schließlich
eingeladen, zum Abendessen zu bleiben.
Eine Art okzitanische Sumpfschnepfe
bedient uns. Wir benehmen uns ganz zwanglos, sitzen in Hemdsärmeln am Tisch.
Als ich mein Jackett ablege, erblicken meine ehrenwerten Gastgeber mein
Schießeisen. Das ruft natürlich ein Konzert amüsierter Bemerkungen hervor. Ah,
dann sei ich ja tatsächlich ein richtiger Privatdetektiv, wie aus einem Roman!
Castellet hält das bestimmt für blöde Angeberei. Er sagt es nicht, doch ich
spüre es.
„Sie schleppen das Ding sogar im
Urlaub mit sich rum?“ fragt Mireille.
Ich erkläre, daß man die Kanone mehr
als Dekoration ansehen müsse, ich allerdings, ja, nicht nur Urlaub mache,
sondern die (minderjährige) Tochter eines gewissen Dacosta suche, „...eines pied-noir, den Sie vielleicht kennen, Monsieur Castellet, Sie haben doch einige Jahre in
Algerien gelebt, glaube ich...“
Castellet bringt wortlos zum Ausdruck,
wie idiotisch er die Frage findet.
„Wissen Sie, wenn ich die alle kennen
sollte“, sagt er. „Allein in Montpellier gibt es fünfundzwanzigtausend... Und
da unten sind’s fast zwei Millionen. Deshalb... Nein, ich kenne keinen
Dacosta.“
„Aber vielleicht kennen Sie seine
Tochter?“
„Aus dem Alter bin ich raus“, erwidert
er schmunzelnd.
„Ich habe allen Grund zu der Annahme,
daß sie eine Ihrer Kundinnen ist“, sage ich zu Mireille. „Stammkundin oder
Laufkundschaft, das weiß ich nicht. Warten Sie...“
Ich gehe in den Flur. Dort hängt meine
Jacke, und aus deren Innentasche hole ich die Fotos von Agnès. Nein, den beiden
„Originalen“ ist das Mädchen nicht bekannt, wie sie mir versichern. Etwas
anderes habe ich auch nicht erwartet. Agnès hat das Paar Strümpfe nicht
unbedingt selbst gekauft. Vielleicht war es ein Geschenk. Ich lege die Fotos
beiseite, und wir unterhalten uns weiter über alles und nichts, nur nicht über
Algerien. Denn Castellet hat sich unmißverständlich ausgedrückt: „Ich hatte
dort ein neues Leben begonnen, und dann ist der ganze Mist losgegangen. Ich
möchte nicht mehr daran denken und auch nicht mehr daran erinnert werden. Für mich
ist die Sache erledigt. Es hat keinen Sinn, immer wieder darüber zu reden.“
Ich pflichte ihm bei. Er ist nicht der
erste Algerienfranzose, der sich mir gegenüber so äußert.
Unsere Mahlzeit ist zu Ende, und die
Stunde des Abschieds naht, gleichzeitig wie die meiner Verabredung mit Delmas.
Als Mireille uns ein paar Minuten alleine läßt, fragt mich Castellet
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