Wenn Tote schwarze Füße tragen
Foto, si,
si — befreit. Sie lag geknebelt und gefesselt auf einer Matratze, war ganz
geschwächt und hatte nicht mehr alle Sinne beisammen. Die Schmerzen hatten sie
halbverrückt gemacht. Der Zigeuner brachte sie in seinen Wohnwagen — in allen
Ehren! — , gab ihr etwas zu essen und zu trinken und pflegte sie. Vor ein paar
Tagen — genaues Datum wiederum ungenau — hat sie es ausgenutzt, daß ihr Retter
nicht zu Hause war, und hat sich aus dem Staube gemacht. Bei der Gelegenheit
hat sie einen schmierigen Regenmantel und ein Paar Leinenschuhe derselben Farbe
mitgehen lassen. Ihr Verhalten hat den Zigeuner ein wenig betrübt — daher also
die traurigen Hundeaugen! — , aber er freute sich dennoch, daß sie aus ihrem
Gefängnis in dem Bauernhaus entwischt war. Seit dem Tag ihres Verschwindens
beobachtete er so oft wie möglich das Haus von der Brücke aus. Wenn der Kerl,
der sie eingesperrt hatte, kommen und feststellen würde, daß der Vogel
ausgeflogen war, wollte der Zigeuner ihm gegenübertreten und ihm ins Gesicht
lachen. Aber außer mir eben hat er niemand hier auftauchen sehen.
Ich glaube allerdings, daß der Kerl
dennoch zurückgekommen sein muß. Er hat den Käfig leer vorgefunden, hat sich
aber schnell von seiner Überraschung erholt und den Vogel wieder eingefangen.
Und ein zweites Mal hat er sein Opfer nicht entwischen lassen, ganz im
Gegenteil. Das Ergebnis hat der Hund von Dacostas Nachbarn unter dem Sägemehl
aufgespürt...
Ich gebe dem Zigeuner ein wenig Geld,
damit er sich einen neuen Regenmantel kaufen kann, und er geht zu seinem
Wohnwagen zurück.
Bevor ich ebenfalls verschwinde, werfe
ich noch einen Blick in den Brunnen, der mir früher soviel Furcht eingeflößt
hat. Wie ein Eingang zur Hölle ist er mir immer vorgekommen. Ich rücke die
schwere Eisenplatte von der Brunnenöffnung und schaue in die feuchte Tiefe. Das
Wasser da unten ist still und undurchdringlich. Man kann nicht viel sehen, aber
an meiner Überzeugung ändert das nichts. Ich wuchte den Brunnendeckel wieder an
seinen Platz zurück und klopfe auf das Eisen.
De profundis, barbouze Sigari! Sieh zu, daß deine Haare
nicht verfilzen!
* * *
Aus dem Bistro in Celleneuve, in dem
ich so langsam zu einem Stammgast werde, rufe ich Laura Lambert an. Gestern
habe ich mir vorgenommen, ihre Adresse zu erfragen, doch dann ist es mir wieder
entfallen. Doch besser spät als nie. Der „Telefonservice für abwesende
Fernsprechteilnehmer“ antwortet mir, Madame Lambert werde nicht vor Montag
zurückkommen.
„Danke. Madame Lambert wohnt doch in
der Rue Odette-Siau, nicht wahr?“
„Aber nein, Monsieur, Sie irren sich!
Sie wohnt in der Rue des Frères-Platters.“
Die Dame gibt mir auch noch die
Hausnummer, ich entschuldige mich, bedanke mich noch einmal und lege auf.
Da die Rue des Frères-Platters auf
meinem Weg liegt, fahre ich dort vorbei. Lauras Haus schläft hinter
geschlossenen Fensterläden. Haus abgeschlossen, Fernsprechteilnehmer
abwesend...
Ich werfe einen Blick in den
Briefkasten. Meine Hand ertastet ein gefaltetes Blatt Papier ohne Umschlag. Auf
der Straße ist keine Menschenseele zu sehen. Ich kann es also wagen. Mit einem
Zweig der Gartenhecke angele ich nach Lauras Post. Sobald ich den Zettel in der
Hand habe, lese ich ihn.
Dieses Schwein! Dieses verdammte
Schwein!
Ich brauche drei Martinis, um mich
wieder zu beruhigen. Danach fahre ich zu meinem Hotel zurück.
Im Littoral erwartet mich eine
Nachricht von Hélène. Das Mädchen Maud hat nichts zu sagen. Sollte ich noch
weitere Anweisungen auf Lager haben, könne ich sie, Hélène, in Lourdes unter
der und der Nummer telefonisch erreichen. Ich versuche es.
„Sie können zurückkommen“, sage ich zu
meiner Sekretärin. „Ich habe den nötigen Namen und die Adresse. Maud Fréval
brauchen wir nicht mehr.“
Da ich schon einmal den Hörer in der
Hand habe, rufe ich Chambord und auch noch Jean Dorville an, den ich zufällig
einmal zu Hause erreiche. Ich kündige ihm meinen Besuch an.
In der Rue Saint-Louis treffe ich
Zavatter am Steuer des Sportwagens an, in dem ich die blonde Raymonde
kennengelernt habe. Ob’s was Neues gebe, frage ich meinen Mitarbeiter.
„Nein, nichts. Er ist weggegangen. Ich
bin ihm gefolgt. Er hat weder jemanden getroffen noch versucht, mit den Flics
Kontakt aufzunehmen. Ist nur spazierengegangen, hat ein Stück Brot an die
Schwäne verfüttert und ist wieder nach Hause gegangen. Und ich sitze hier und
werde langsam alt.“
„Da
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