Wenn Tote schwarze Füße tragen
dem
brüllend heißen Hinterhof an irgend etwas herumbastelt. Der Sohn ist ein
folgsamer Sohn und kommt.
Es ist mein Bekannter von der Straße
nach Prades. Der Junge, der Dacostas Petit-Chêne durchs Fernglas
beobachtet hat. Auch er erkennt mich. Unsicher runzelt er die Stirn. Er sieht
so gefährlich aus wie ein Schmetterling auf einer Blüte.
„Hallo“, begrüße ich ihn. „Mein Name
ist Nestor Burma. Ich bin Privatdetektiv. Nachdem Sie die Briefumschläge vom
Regal geholt haben, möchte ich mich gerne mit Ihnen unterhalten.“
Und das tun wir auch, wenig später,
auf der relativ kühlen Schwelle eines Schuppens, in dem es nach alten Fässern
riecht. Ja, er habe Dacosta die Banknote zugeschickt. Er habe sie auf dem
Bürgersteig in der Rue des Boursiers gefunden, die Straße heiße jetzt anders, Boursiers
sei der alte Name...
„Ich weiß“, unterbreche ich ihn. „Ich
habe sie auch noch unter dem alten Namen gekannt.“
Also, er habe den Schein in der Nacht
vom 3. auf den 4. Mai gefunden, das heißt von Dienstag auf Mittwoch, als er von
der Arbeit gekommen sei. (Er arbeitet am Bahnhof in Wechselschicht). Der Schein
habe nicht offen auf der Straße gelegen, sondern in einem Umschlag gesteckt,
der nicht mehr zu benutzen gewesen sei, nachdem er, der junge Ténalous, ihn
aufgerissen habe. (Später zeigt er ihn mir. Es handelt sich um einen teuren
Umschlag mit Adhäsionsverschluß. Er trägt Dacostas Adresse, eilig, aber
eindeutig von einer weiblichen Hand hingeschrieben. Wenn ich mich nicht irre,
ist es Agnès’ Handschrift.)
„Ich bin kein Engel“, fährt Ténalous
fort, „und mein erster Gedanke war es, den Zehntausender zu behalten. Dann hat
mich aber das Kürzel O.A.S. stutzig gemacht. Wissen Sie, M’sieur, diese
Geschichten um die O. A. S., das hat mich brennend interessiert, interessiert
mich immer noch. Genauso wie Spionageromane. Ich hab mir gesagt: Was soll das
denn? Ein Erkennungszeichen? Ein Geheimzeichen? Wird am Ende noch ein
Staatsstreich vorbereitet? Tagelang war ich ganz aufgeregt. Den Samstag darauf
schließlich habe ich den Schein in einen Umschlag aus dem Laden meiner Mutter
gesteckt, einen dicken Umschlag, damit man den Schein nicht fühlen konnte, und
hab ihn an den Empfänger adressiert.“ (Und ganz einfach, ohne Hintergedanken,
ganz normal, in Saint-Jean-de-Jacou in den Briefkasten geworfen.) „Danach bin
ich dann hin und wieder in meiner Freizeit auf den Hügel gestiegen, um zu
sehen, was sich in der Umgebung des Sägewerks abspielte.“
„In der Hoffnung wahrscheinlich,
irgendwelche Verschwörer in mauerfarbenen Mänteln oder in Leoparduniformen
herumlaufen zu sehen, stimmt’s?“
„Ja. Aber es ist leider nichts
passiert“, seufzt er enttäuscht. „Außer letzten Mittwoch, als Sie mich erwischt
haben. Sie sind mit der Jacke hängengeblieben, und da hab ich Ihr
Pistolenhalfter gesehen... Ich hab Sie sofort für einen barbouze gehalten
— entschuldigen Sie! — und bin lieber abgehauen.“
„Sind Sie später noch einmal dorthin
zurückgekommen?“
„Zweimal. Dann hab ich’s aufgegeben,
weil ja absolut nichts passierte.“
„Es konnte auch gar nichts passieren!“
sage ich. „Jedenfalls nicht das, was Sie sich vorgestellt hatten. Mit der O. A.
S. hatte das nämlich rein gar nichts zu tun.“
„Aber, der Geldschein... Er war doch
mit O. A. S. gezeichnet...?“
„Nein. Es sah so aus, war es aber
nicht. Es war nur der Anfang des Namens eines Verräters und Mörders.“
* * *
Auf dem Rückweg fahre ich wieder über
Celleneuve und mache mich auf die Suche nach dem Bauernhof, den meine Eltern
bewirtschaftet haben. Ich war damals noch ein kleiner Knirps. Es liegt alles so
weit zurück, und ich muß mich erst zurechtfinden. Nach endlos scheinender Fahrt
an Weingärten entlang erblicke ich schließlich durch einen dichten Vorhang aus
Bäumen hindurch das verwahrloste Castelletsche Anwesen. Doch ich habe mich
verfahren: Ein Fluß trennt mich von dem Hof. Weiter rechts führt eine Brücke,
die meine Erinnerungen Wiederaufleben lassen, über das träge dahinfließende,
giftgrüne Wasser. Es ist eine Eisenbahnbrücke, über die schon seit langem kein
Zug mehr gefahren ist. Mit ihren verrosteten Strebebögen und ihren soliden
Steinpfeilern erinnert sie an einen Westernfilm. Ich grüße die Brücke wie eine
alte Bekannte, lasse meinen Wagen neben dem Bahndamm stehen und klettere einen
steilen Pfad hinauf. Auf der stillgelegten Brücke lehnt ein Zigeuner
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