Wenn Tote schwarze Füße tragen
sind Sie nicht der einzige. Und
Raymonde?“
„Alles in Ordnung. Hab sie heute
morgen in den Zug gesetzt und ihre Nachfolge als Mieter des Leihwagens
angetreten.“
„Gut. Ich werde gleich mit unserem Klienten
wegfahren. Sie folgen uns in Sichtweite.“
„Großer Gott, Burma!“ ruft Dorville,
als er mir die Tür öffnet. „Sie sehen aber müde aus!“
„Bin ich auch. Die letzten Stunden
einer Ermittlung sind immer die deprimierendsten. Die ganze Scheiße, die aus der
Tiefe aufsteigt...“
„Die letzten Stunden? Wollen Sie damit
sagen...“
„Ja. Der Fall ist so gut wie
abgeschlossen. Bis auf ein paar Kleinigkeiten.“
„Großer Gott, Burma...“
Er ist sprachlos. Die Knie werden ihm
weich, er läßt sich auf einen Stuhl fallen.
„Großer Gott, Burma... Großer Gott...“
stammelt er. „Darauf muß ich einen trinken. Sie doch sicher auch, oder? Und
darf man fragen...“
„Später. Trinken tun wir auch später.
Kommen Sie!“
Er gehorcht mir wie ein Schlafwandler.
In meiner Leih-Dauphine wiederholt er zum x-ten Mal:
„Großer Gott, Burma!“
In der Rue Daranaud — ehemals Rue des
Boursiers — halte ich an und sage zu dem immer noch sprachlosen Dorville, er
solle im Wagen auf mich warten. Ich steige aus und gehe in den Wäscheladen „Mireille“.
Die brünette Verkäuferin steht, frisch parfümiert und ausgehbereit, an der Tür
und will gerade abschließen. Ob sie mich wiedererkennt oder nicht, weiß ich
nicht; jedenfalls schenkt sie mir ein mechanisches Lächeln. Ich erkundige mich,
ob ihre Chefin oder Monsieur Castellet zu Hause sind. Monsieur Castellet nicht,
aber Madame sei oben in der Wohnung.
„Vielen Dank“, sage ich und nehme ihr
die Schlüssel aus den gepflegten Fingern. „Sie können jetzt gehen. Ich schließe
selbst ab.“
Sie protestiert, das gehe nicht,
Madame sei krank, sie müsse den Laden abschließen usw. Ich erwidere, sie müsse
vor allem ihren Mund schließen, sonst sähe ich mich nämlich gezwungen, meinen
aufzutun, und vielleicht werde es ihr überhaupt nicht gefallen, wenn alle Welt
erfahre, daß sie eine dreckige kleine Hure sei. Letzteres füge ich auf gut
Glück hinzu; es sollte mich jedoch wundern, wenn sie nicht in die Sache
verwickelt wäre. Ich habe richtig getippt.
„Oh!“ haucht sie, wird rot und dann
blaß. „Sie wissen Bescheid?“
„Ja. Aber keine Sorge, das schockt
mich nicht. Ich bin Anti-Abolitionist.“
Ich weiß nicht, ob sie das Wort
versteht. Jedenfalls geht sie hinaus, wahrscheinlich um ihren Wortschatz zu
erweitern. Ich stecke den Schlüssel ein und begebe mich nach oben in die
Wohnung. In dem kleinen, verschwiegenen Haus ist es still wie in einem Grab.
Ich finde Mireille in dem Salon, in
dem sie mich schon bei meinem ersten Besuch empfangen hat. Sie liegt
hingegossen, wie leblos, in einem Sessel, leichenblaß unter ihrem Make-up. Ihre
immer noch reizvollen Beine hat sie von sich gestreckt wie ein kaputter
Hampelmann. Großer Gott, Burma!, würde Dorville sagen. Mir sträuben sich die
Nackenhaare. Ich sah keine Veranlassung, mich zu beeilen. Hatte alle Zeit der
Welt. Er habe schon genug getötet, dachte ich, er werde nicht noch weiter
töten, weil es nicht nötig sei. Nur habe ich unterschätzt, wie sehr er diese
Frau haßte!
Ich beuge mich über Mireille und muß
weinen... vor Erleichterung! Sie ist nicht tot, sondern nur sturzbetrunken.
Eine Schnapsleiche mit einer halbleeren Flasche neben sich auf dem Sessel.
Ich lasse sie ihren Rausch ausschlafen
und gehe auf Entdeckungstour. In der oberen Etage der Wohnung entdecke ich zum
Beispiel in einem weiträumigen Zimmer einen Projektor und eine Leinwand. Filme
sind nicht zu sehen, aber das macht nichts. Die anderen Räume sind
Schlafzimmer, „Gästezimmer“ sozusagen. In einem Schrank des Raumes, der für das
Paar reserviert ist, das die Geschicke des gastlichen Hauses lenkt, finde ich
orthopädische Herrenschuhe mit leicht erhöhten Absätzen. Der Verräter, den
Chambord gesehen hat, hinkte also tatsächlich. Inzwischen korrigiert ein
erhöhter Absatz diesen Schönheitsfehler. In dem Schrank liegt außerdem eine
Aktenmappe mit Fotos von jungen Mädchen in Abendtoilette, darunter auch ein
Abzug des Fotos von Agnès, das ich in der Tasche mit mir herumschleppe. Das ist
also das „Angebot“, das den Clubmitgliedern unterbreitet wurde...
Ich gehe wieder nach unten und betrete
eine Art Büro neben dem Salon. Auf dem wuchtigen Schreibtisch findet sich die
übliche Ausstattung:
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