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Wer abnimmt, hat mehr Platz im Leben

Titel: Wer abnimmt, hat mehr Platz im Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Stelter
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zwei Minuten laufen und nur eine Minute Gehpause einlegen. Als ich das erste Mal auf die Stoppuhr sah, hatten wir die Rezeption gerade hinter uns gelassen, und die digitale Anzeige signalisierte 00 : 01 : 07 . War ja klar. Eine Minute sieben Sekunden schaffte ich, aber das Ziel waren zwei Minuten. Die schaffte ich nicht, aber anderthalb Minuten, das klappte. Wir legten bei 00 : 01 : 30 die erste Gehpause ein, eine Minute. Ich rechnete schnell: eins dreißig laufen, eine Minute gehen, macht zweieinhalb Minuten, das ganze zwölf Mal, macht wieder dreißig Minuten, klappt.
    Es war ein angenehmer Frühlingstag, nicht zu warm, nicht zu kalt, nicht zu windig und vor allem trocken. Unsere Sechsergruppe hatte sich in drei Tandems aufgespalten. Tristan und Edda liefen wie immer ein paar Meter voraus, es folgten Anne und Gaby. Lothar und ich bildeten die Nachhut. Lothar war sehr mitteilsam.
    »Wenn du dann etwas schneller werden willst, machst du genau das Gleiche. Nur wenn du jetzt Gehpausen machst, dann legst du später Sprints ein, eine oder zwei Minuten richtig Gas geben, das nennt man dann Intervalltraining. Und das macht richtig Spaß.«
    »Sprints«, »Intervalltraining«, »Spaß« – davon war ich in etwa so weit entfernt wie Lothar von einem Sixpackbauch. Aber ich ließ mir nichts anmerken und versuchte, die Grunz- und Zischlaute, die ich beim Laufen ab Minute drei ausstieß, als Teilnahme an der Konversation klingen zu lassen. Was für ein hoffnungslos träger Sack ich war! Und wie langsam! Es fiel mir schwer zu glauben, dass von den einhunderttausend Spermien meines Vaters ausgerechnet ich das schnellste gewesen sein sollte. Ich war der Sigmar Gabriel unserer Laufkoalition, das Omegatier, die fleischgewordene Gehpause. Ich kam mir vor wie eine Tagesbaustelle auf der Autobahn, wie ein Trecker auf der Landstraße: zu langsam, zu breit und von allen gehasst.
    Aber Lothar machte mir Mut. »Sieh es doch mal so rum, letztes Jahr hättest du das noch nicht geschafft, und wenn in zwei Wochen die Ferien rum sind, dann läufst du sicher die zwei Minuten.«
    An zwei Minuten wollte ich nicht denken, ich dachte an ein großes Bier, an ein dunkles belgisches Grimbergen, ein Abteibier, das eine ganz besondere Wirkung hat. Die Belgier sind ja bekanntlich nicht an unser Reinheitsgebot gebunden, und deshalb vermute ich, dass in diesem dunklen Zeug neben Wasser, Hopfen, Malz und Gerste auch noch irgendeine Art von Happymaker enthalten ist. Ich war mir sehr sicher, nach dem dritten Grimbergen würde ich Lothar sogar zustimmen, wenn er Laufpassagen von fünf Minuten noch in diesem Urlaub für möglich hielt.
    Als wir nach gut dreißig Minuten wieder an der Fahrradsperre ankamen, hatte meine Zunge ungefähr die Länge einer ordentlich gebundenen Krawatte erreicht. Anne und Gaby unterhielten sich angeregt über irgendwas. Ich war nicht nur körperlich nicht in der Lage, ihrem Gespräch zu folgen. Es interessierte mich auch ungefähr so sehr wie die Lauffortschritte von Joschka Fischer. Ich hatte den einfachsten Wunsch der letzten dreißig Jahre meines Lebens: Ich wollte einfach nur stehen.
    Einfach nur stehen, nicht bewegen, stehen bleiben, atmen, hoffentlich atmen. Und ich blieb stehen, ich holte tief Luft, ich beugte den Oberkörper nach vorne, ich stützte mich mit den Händen auf den Oberschenkeln ab, und ich hatte nur noch ein einziges Ziel: überleben. Gaby erzählte irgendwas von »Stretching«. Sie vollführte wahnwitzige Übungen an dem Poller, der dafür sorgt, dass niemand mit dem Auto auf den Stellplatz fährt.
    Ich hatte im Bornheimer Wäldchen schon mal eine Gruppe von Nordic Walkern beim Stretchen beobachtet und dabei in erster Linie über die Elastizität der Funktionshosen gestaunt. Ansonsten war das in etwa so ästhetisch wie die Ludolfs beim Schlammcatchen. Bei Gaby sah das Ganze jedoch weitaus eleganter aus. Ich selbst war zum Stretchen allerdings nicht in der Lage.
    Der erste Stellplatz rechts hinter dem Poller gehört dem Fendt-Wohnwagen von Gerd. Anästhesist aus Duisburg. Gerd und Uschi hantierten vor ihrem Vorzelt. Sie mussten gerade angekommen sein. Als wir vor einer guten halben Stunde aufgebrochen waren, war von unseren medizinisch gebildeten Nachbarn aus Duisburg noch nichts zu sehen gewesen.
    Gerd war gerade dabei, den perfekt zum Vorzelt passenden beige-grünen Windschutz aufzubauen. Er meinte: »Da bin ich ja wohl zu spät gekommen, sonst wäre ich gerne mitgelaufen.« Dabei grinste er wie ein Patient,

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