Wer abnimmt, hat mehr Platz im Leben
meinem Kontakteordner gelöscht. Joggen, diese Marterstrecke! Das war einfach eine Unverschämtheit. Noch schlimmer war, dass anderthalb Kilometer bis Domburg auch hieß: anderthalb Kilometer bis zu einem heißen Rum. Den Kakao konnten die anderen trinken. Wenn ich schon keine Siegerurkunde bekam, dann wollte ich wenigstens den David-Hasselhoff-Award.
So war das in den letzten Herbstferien, aber das ist jetzt ein halbes Jahr her. Hinter mir lag Silvester 2003 , hinter mir lag der Entschluss, dass ich am Jahresende fünfundvierzig Minuten am Stück laufen wollte. Lothar wusste noch nichts davon.
Noch nicht.
Einmal rund um den Campingplatz
Ja, man konnte ihn schon ungläubig nennen, den Blick, mit dem Lothar mich nun schon seit mehreren Sekunden musterte. Ich hatte eigentlich nur mitgeteilt, dass in dieser schwarzen Sporttasche unsere Laufsachen steckten, und als er dann noch die weiß-blauen Brooks Adrenalin 6 sah, die – an den Schnürsenkeln zusammengebunden – an meinem Unterarm baumelten, verschlug es ihm tatsächlich für einige Sekunden die Sprache. Er betrachtete die Schuhe genau und verfiel sofort ins Fachsimpeln: »Sehen gut aus, aber probier mal die Asics Gel Kayano. Die nehme ich schon seit Jahren, für schwere Jungs wie uns genau das Richtige!«
Wir räumten gerade den Wagen aus und den Wohnwagen ein. Zwei Wochen Osterferien in unserem vierräderigen Urlaubsdomizil auf der Halbinsel Walcheren im Süden der schönen Niederlande. Mein neujährlicher Vorsatz, zum Läufer zu mutieren, lag gerade mal dreieinhalb Monate zurück. Aber für diesen Urlaub hatte ich mir einiges vorgenommen.
Genau genommen gab es drei mögliche Laufstrecken, von denen es zwei zu testen galt. Die eine führt vom Campingplatz aus rechts in den Feldenmarkseweg, der endet nach dreihundert Metern an der Straße zwischen Rijkskerke und Noordkapelle. Wenn man jetzt nach links läuft und dann wieder nach links, am Campingplatz »de Boskoop« vorbei, und dann noch zweimal links, dann kommt man wieder an der Rezeption von »de Grevelinge« an. Diese Strecke dürfte ein kleines bisschen kürzer sein als die »Rechtsrumvariante« über den Weg mit dem lustigsten Namen auf Walcheren, zumindest für uns. Tristan hatte uns vor ein paar Jahren nach einer Radtour mit seinem Opa erzählt, sie wären durch den »Huren-Duren-Kotz-Weg« gefahren. Es war der Hoge Duvekotsweg. Ich habe noch kein Niederländisch-Lexikon gefunden, das mir bei diesem Straßennamen wirklich weiterhelfen konnte.
Natürlich gab es auch noch die dritte Variante, nämlich beide Strecken zu verbinden, den Feldenmarkseweg raus, dann links durch den Hoge Duvekotsweg, wieder links, wieder links, am »de Boskoop« vorbei.
Am ersten Tag war ich noch nicht bereit, die Laufschuhe anzuziehen. Am ersten Tag steht allerhand auf der »To-do-Liste«. Wohnwagen und Zelt stehen zwar schon, das ist ein großer Vorteil. Aber erst mal geht es ans Gemütlichmachen. Als Erstes muss der Rasen rund um unsere Urlaubsbehausung auf eine alltagstaugliche Höhe gestutzt werden. Und dann müssen die Hülsen für den Windschutz gesucht werden.
Am letzten Tag der Herbstferien wird der Windschutz eingemottet, denn wir haben einen ganz besonderen Windschutz. Er ist aus dem gleichen Stoff wie unser Vorzelt, von unserem holländischen Tentenmaker Ben Eilers genäht für die Ewigkeit. Er wurde nicht nur mit edlen Aluminiumstangen geliefert, sondern auch mit den passgenauen Hülsen aus ebendiesem Material. Die haut man einmal mit dem dicken Campingvorschlaghammer ins Erdreich, und dann könnte man da jedes Jahr die Stangen für den Windschutz einfach reinstecken, kein Problem, meinte Ben Eilers.
Mir hätte bei diesem Gespräch mit dem Zeltmacher meines Vertrauens der Konjunktiv auffallen müssen: »könnte«. Das ist nämlich das Problem, man könnte die Stangen einfach reinstecken, kein Problem, wenn man denn im nächsten Jahr die Hülsen wiederfinden würde. Man findet sie aber nicht. Sie sind nach dem Winter voll Erde und von Gras überwuchert und wechseln offenbar auch wie von selbst ihre Position – wie die berühmten Steine im Death Valley, die sich anscheinend wie von Geisterhand selbst bewegen. Die Suche kostet mich jedes Jahr Stunden. Im Prinzip ist das jedes Jahr zu Ostern mein ganz persönliches Eiersuchen.
Mein Nachbar Lothar hat eine elegante Art der Kennzeichnung ersonnen. Er hat eine Windschutzstange aus Holz in sieben kurze Hölzer zersägt und auf jedes mit
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