Wer Andern Eine Grube Gräbt: Mitchell& Markbys Fünfter Fall
ab, und ich wollte nur noch einen letzten Blick auf alles werfen.«
»Auf was denn? Hier gibt es nichts, was Sie interessieren könnte! Was hat der alte Mann zu Ihnen gesagt?« Brian musterte sie wütend.
»Er … er hat irgendwelche religiösen Dinge geredet. Er scheint Frauen nicht zu mögen.« Lionel ist vollkommen verrückt, dachte sie. Und warum fragt Brian überhaupt, ob mit mir alles in Ordnung ist? Ist das vielleicht nicht selbstverständlich, wenn man als Frau mit Lionel allein ist? Plötzlich kam ihr ein schrecklicher Gedanke, und bevor sie nachdenken konnte, sprudelte sie heraus:
»Brian, er hat Natalie nicht umgebracht, oder?«
»Halten Sie den Mund!«, donnerte Brian.
»Sie haben kein Recht, so etwas zu sagen!« Schweigen herrschte, während seine Stimme durch den kleinen Raum hallte.
»Haben Sie Natalie umgebracht?«, fragte Meredith leise.
»Nein!« Seine Stimme klang genauso vehement wie zuvor, doch sprach er ein wenig leiser.
»Aber Sie haben ihren Leichnam in den Steinbruch geschafft, nicht wahr?« Als er nicht antwortete, deutete sie auf den Fußboden.
»Hat hier nicht ein Teppich gelegen? Der Boden ist sehr sauber, abgesehen von ein wenig Staub und ein paar Steinen. Als ich das letzte Mal hier war und Sie mich überraschten, haben Sie sich umgesehen, als suchten Sie etwas. Vielleicht Natalies Sandalen?« Brian starrte sie an.
»Setzen Sie sich!«, sagte er abrupt. Es war ein Befehl, keine Bitte. Meredith nahm auf der Chaiselongue Platz. Brian zog einen Holzstuhl heran und setzte sich zwischen sie und die Tür.
»Sie sind eine Freundin von diesem Markby?«
»Ja. Falls Sie ein Problem haben, Brian, mit Alan … mit Chief Inspector Markby kann man reden. Er wird Ihnen zuhören.«
»Sie werden zuhören!« Brian schluckte und presste die von der Arbeit harten Handflächen gegeneinander.
»Sehen Sie, es war so. Als ich elf Jahre oder so alt war, wurde ich nach Bamford in die Schule geschickt, auf die Old High School. Vorher war ich auf der Grundschule, damals noch in Westerfield, aber in der Zwischenzeit längst geschlossen. Jedenfalls bin ich für gewöhnlich mit dem Schulbus gefahren. Er hat extra für mich unten an der Straße gehalten. Ich bin jeden Morgen von der Farm nach dort unten gelaufen.« Er hielt inne.
»Und auf der Old High School haben Sie Natalie Salter kennen gelernt«, sagte Meredith. Er nickte.
»Sie war die hübscheste von allen. Ich hatte noch nie vorher ein Mädchen wie sie gesehen, und danach auch nie wieder! Ich hab am Schultor auf sie gewartet, um ihre Bücher zu tragen! Sie war sehr intelligent, glauben Sie mir! Sehr intelligent. Als wir ein wenig älter waren, wurde mir klar, wie die Dinge sich entwickeln würden. Ich würde auf die Farm zurückkehren, und sie würde die Universität besuchen und es zu etwas bringen. Ich hätte sie so gerne geheiratet, doch sie wäre niemals glücklich geworden auf der Farm. Sie wusste, was ich für sie empfand, doch sie empfand nicht das Gleiche für mich, und das war auch gut so. Sie hatte etwas Besseres verdient.« Brian hatte sich in Fahrt geredet, und Meredith fragte sich, ob der Wahnsinn seines Onkels auf den Neffen abgefärbt hatte.
»Aber sie bekam nichts Besseres! Sie bekam diesen Dan Woollard, und er hat sie betrogen und unglücklich gemacht! Sie fing an, sich zu verändern, meine Natalie. Wer sie vorher nicht gekannt hatte, als sie noch jung war, würde nicht glauben, wie sehr! Und Woollard war dafür verantwortlich. Für mich war es immer, als würde ein Licht aus ihr herausscheinen. Er hat es ausgelöscht! Er hat sie umgebracht, genau das hat er getan! Sie sah noch aus wie Natalie, aber sie war nicht mehr dieselbe. Sie war eine andere geworden. Nun ja. Vor ein paar Tagen hat sie mich von Oxford aus angerufen. Sie hatte einen Streit mit ihm wegen seiner letzten Affäre, und sie war mit nicht mehr als ein paar Münzen in den Taschen aus dem Haus gerannt, genug, um mich anzurufen. Sie bat mich, vorbeizukommen und sie zu holen. Sie wollte nicht sofort wieder nach Hause, und sie wollte auch nicht zu ihrer Mutter. Und sie hatte Angst, Woollard könnte bei ihren anderen Freundinnen anrufen. Also bin ich nach Oxford gefahren und habe sie geholt. Ich brachte sie nach Bamford. Die ganze Zeit dachte ich, sie würde es sich wahrscheinlich noch einmal anders überlegen und doch zu ihrer Mutter gehen. Aber sie wollte nicht. Sie wollte eine Weile an einem Ort verbringen, wo niemand sie kannte. Sie dachte über eine Scheidung
Weitere Kostenlose Bücher