Wer Andern Eine Grube Gräbt: Mitchell& Markbys Fünfter Fall
gefallen war, sobald ihr Kopf das Kissen berührt hatte.
Außerdem war es ein wunderschöner Morgen. Die Sonne war noch mild, doch später würde sie wahrscheinlich erneut erbarmungslos auf die Landschaft brennen. Die Luft besaß eine angenehme morgendliche Frische. Die grasbewachsenen Seitenstreifen waren noch feucht vom Tau und glitzerten silbern. Über den Weiden lag ein leichter Dunstschleier, der die weiter entfernt stehenden Bäume einhüllte und gespenstisch um die massiven Leiber der grasenden Kühe waberte. Alles in allem war es ein wirklich wunderschöner Morgen.
Meredith hoffte, dass Finny bereits fertig wäre. Sie nahm an, dass seine Vorbereitungen nicht viel mehr umfassten als das Einsetzen des Gebisses und das Aufsetzen des alten Filzhutes, selbst angesichts der Tatsache, dass er von einer
»großen starken Frau« an der Tür abgeholt wurde. Meredith grinste vor sich hin. Alter Halunke!
Sie lenkte den Wagen am Wegweiser zum Steinbruch auf den Seitenstreifen und stieg aus. Das Zufallen der Wagentür schreckte zwei Tauben auf, die sich unter lautem Flattern in Sicherheit brachten, doch ansonsten herrschte ringsum Totenstille, und in der Luft hing ein Geruch nach verrottender Vegetation. Meredith wanderte über den schmalen Pfad zu Finnys Vordertür. Feuchtes Unkraut strich nass über ihre Knöchel. Sie klopfte an.
»Mr. Finny? Sind Sie fertig für unsere Fahrt nach Bamford?«
Niemand antwortete. Meredith drückte die Türklinke herunter. Wie immer war nicht abgeschlossen, und die Tür schwang mit einem protestierenden Knarren der Angeln nach innen. Meredith betrat zaghaft die schmuddelige kleine Diele.
»Mr. Finny? Sind Sie wach?«
Er hatte doch wohl nicht verschlafen? Aber vielleicht war er während des Wartens eingedöst, wie das bei älteren Leuten hin und wieder geschah.
Sie sah im Wohnzimmer nach, das unberührt schien, seit sie ihn dort am vorhergehenden Nachmittag verlassen hatte. Kein Finny. Auch kein Finny in der Küche, aber eine eigenartige Sache: Der Kohleofen war ausgegangen.
Meredith legte die Hand auf die Kochplatte. Sie war kalt. Ein Gefühl der Unruhe breitete sich in ihr aus. Vielleicht hatte er beschlossen, das Feuer in Ruhe zu lassen, bis er später am Tag wieder aus Bamford zurück wäre – aber was war mit heißem Wasser für den Frühstückstee? Sie blickte in den verbeulten Kessel. Er war mit Wasser gefüllt, aber kalt. Ein Becher, der gleiche, in dem sie Finny am vorhergehenden Tag Tee serviert hatte, stand gespült auf dem Ablaufbrett und war völlig trocken. Nicht der kleinste Hinweis, dass an diesem Morgen jemand Tee zubereitet hatte.
Beunruhigt dachte sie an den Zustand, in dem sie den alten Mann am Vortag vom Straßenrand aufgelesen hatte. Vielleicht hatte Finny einen Herzanfall erlitten und lag irgendwo hilflos herum. Sie schalt sich selbst, weil sie ihn nicht nach Bamford zu seinem Hausarzt gebracht hatte. Es war ihm ganz offensichtlich nicht besonders gut gegangen.
Meredith setzte ihre Suche nach Finny mit größerer Eile fort. Sie durchsuchte das Haus. Jeder Raum war vollgestopft mit Plunder – Dinge, die sein Besitzer im Lauf der Jahre von der Deponie hierher geschleppt hatte. Das Bett in Finnys Schlafzimmer war ordentlich gemacht. Aber hatte er darin geschlafen und war er heute Morgen aufgestanden – oder hatte er es überhaupt nicht benutzt?
Meredith blickte sich um. An der Wand hing ein alter, auf einem Holzbrett montierter Elenantilopenkopf; auf dem Brett war ein Messingschild angebracht: Geschossen von Colonel S. Wilkins Barotseland, 1925. Der Kopf starrte sie mit stumpfen und desillusionierten Augen an.
»Wo steckt er nur?«, fragte sie die Jagdtrophäe laut.
Vielleicht draußen im Garten? Auf seinem stillen Örtchen? Hängte er seine Wäsche ab? Oder inspizierte er das Kartoffelbeet?
Doch Finny war nirgends in dem verwilderten Garten zu finden. Die langen Wollunterhosen baumelten noch immer an der Leine, feucht vom Tau der Nacht. Die Tür des Aborts stand weit offen, das Innere leer. Zeitungen, sauber in kleine Stücke geschnitten, hingen an einem Nagel an der Wand. Vielleicht war er ja in den Steinbruch hinuntergegangen, um die Halde zu inspizieren.
Merediths gute Laune war verflogen. Ihr war heiß geworden, sie fühlte sich verschwitzt und staubig, zunehmend besorgt und ungeduldig, während sie den steinigen Weg zum Boden des Steinbruchs hinabeilte. Weiteres Absperrband flatterte rings um die Stelle im Wind, wo Natalies Leichnam gefunden
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