Wer Andern Eine Grube Gräbt: Mitchell& Markbys Fünfter Fall
Möglichkeiten ab wie ein Breitwandfilm. Das arglose Opfer, der Mörder, der sich lautlos anschlich. Oder eben nicht, weil er erwartet wurde und Natalie deswegen nicht den Kopf nach ihm umgewandt hatte. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken, und zum ersten Mal fragte sie sich selbst, wer der Täter sein könnte. Neben ihr murmelte Dan:
»Sind so viele makabre Einzelheiten zu diesem Zeitpunkt eigentlich nötig?« Er schwitzte. Eine Sekunde lang erlag sie tatsächlich dem Impuls, die Hand auszustrecken und mitfühlend die seine zu ergreifen, doch sie riss sich rechtzeitig zusammen. Die Geste würde von jedem fehlinterpretiert werden, der sie sah, und schlimmer noch: Dan würde sie missverstehen. Die medizinische Beweisaufnahme schien für den gegenwärtigen Zeitpunkt ausreichend, doch ein neues Problem war aufgetaucht. Coroner Harbin war unübersehbar verärgert über das Nichterscheinen aller, die bei der Entdeckung des Leichnams zugegen gewesen waren. Er machte diesbezüglich ein paar scharfe Bemerkungen und verkündete dann, dass die Untersuchung auf einen späteren Zeitpunkt vertagt sei, weil die polizeilichen Ermittlungen noch nicht abgeschlossen waren. Er stampfte mit unter den Arm geklemmten Akten von seinem Podium und verließ den Raum.
»So viel dazu«, sagte Dan säuerlich und erhob sich von seinem Platz. Jackson kam herbei.
»Es tut uns so schrecklich leid, Dan. Becky und mir – wegen deiner Frau, meine ich.«
»Ja. Danke«, kam die kurze Antwort.
»Es ist wahrscheinlich nicht der geeignete Augenblick, um darüber zu reden, aber die Grabung …«
»Es gibt keinen Grund, meinetwegen Umstände zu machen«, sagte Dan. Jacksons trübseliges Gesicht unter dem Schopf rotblonder Haare erhellte sich deutlich. Wie bei einem Cockerspaniel, dessen Herrchen das Wort Spaziergang erwähnt.
»Ich hatte gehofft, dass wir weitermachen können! Ich meine – wusstest du, dass der Ellsworth Trust unsere Fördermittel zum Ende des Monats einstellen will?«
»Es tut mir wirklich leid, Ian«, sagte Ursula.
»Dan und ich haben beide dagegen protestiert.«
»Uns bleibt wohl nichts anderes übrig, als es hinzunehmen.« Jackson zuckte die Schultern.
»Die Gefahr bestand schließlich jederzeit. Aber es bedeutet, dass wir nur noch zehn Tage oder so übrig haben, und wir können uns nicht leisten, auch nur einen einzigen davon zu verschwenden. Ich hoffe, du verstehst das nicht falsch, Dan. Ich würde gerne noch heute Nachmittag wieder mit den Arbeiten beginnen. Ich erwarte nicht, dass du unter den gegebenen Umständen selbst nach draußen kommst …«
»Warum denn nicht?«, unterbrach ihn Woollard brüsk.
»Ich arbeite lieber, anstatt tatenlos herumzusitzen! Gib mir Zeit, um nach Hause zu fahren und mich umzuziehen.«
»Oh. Äh, gut. Sula?« Jackson musterte sie mit einem verlegenen Seitenblick. Verdammt, dachte Ursula. Der letzte Ort auf der Welt, an dem ich sein möchte, ist Seite an Seite mit Dan in einem Graben!
»Selbstverständlich, Ian«, sagte sie laut.
»Ich komme auch.«
»Die beiden Mädchen kommen ebenfalls mit!« Jackson deutete auf Renee und Karen, die flüsternd in einer Ecke standen.
»Ihre Freundin aus dem Foreign Office, ist sie wieder nach London gefahren?«
»Meredith?« Ursula schüttelte den Kopf.
»Nein. Ich hatte eigentlich erwartet, sie heute Morgen hier zu sehen. Ich weiß nicht, was sie aufgehalten hat.«
»Nun dann, wir sehen uns später, auf dem Hügel.« Jackson eilte davon. Mrs. Salter war heftig weinend von ihrer Freundin nach draußen geführt worden. Plötzlich standen Ursula und Dan allein im Raum.
»Bist du ganz sicher, dass du zur Grabung willst?«, fragte sie ihn, während sie zur Tür gingen.
»Hast du nicht andere Dinge zu tun?«
»Die Beerdigung arrangieren, meinst du? Man hat den Leichnam noch nicht freigegeben. Wenn ich nicht zur Grabung fahre, muss ich Amy anrufen, und du hast wahrscheinlich gesehen, wie sie mich gerade empfangen hat.«
»Trotzdem. Eine Familie rückt doch zusammen, wenn so etwas geschieht, oder nicht?«
»Familie? In Amys Augen habe ich die Familie auseinander gerissen! Ich habe Natalie geheiratet und nach London verschleppt! Sie war Amys kostbarster Besitz, und das wird sie mir niemals verzeihen. Wenn ich zu ihr nach Hause gehe, muss ich mir endlose Anschuldigungen anhören, was für ein schlimmer Ehemann ich doch war.«
»Sie weiß über uns Bescheid, oder? Sieh mich nicht so überrascht an, Dan! Ich merke so etwas! Ich ging zu ihr, um
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