Wer anders liebt (German Edition)
hier geht mich etwas an, das ist ein ganz neues Gefühl.«
Er ließ sich in einen Sessel fallen und griff nach einer weiteren Zeitung.
»Aber warum geht es dich etwas an?«, fragte sie.
»Weil wir ihn gefunden haben, Kristine. Das ist doch ganz einfach.«
»Aber wir haben ihn ja nicht gekannt.«
»Ich habe das Gefühl, dass ich ihn gekannt habe. Denn jetzt lese ich seit vielen Tagen von Jonas. Der ganze Verlauf der Ereignisse läuft vor meinen Augen ab wie ein Film.«
»Aber wir kennen den Verlauf der Ereignisse gar nicht«, gab sie zu bedenken. »Hör doch nur.«
Sie zeigte auf ihre Zeitung und las vor: »Die Polizei hält sich bedeckt, was Jonas August und sein tragisches Schicksal angeht.«
»Na«, sagte Reinhardt, »wenn du mich fragst, dann heißt das sicher, dass sie keine Ahnung haben, was passiert ist. Aber sie trauen sich nicht, das zu sagen, sie wollen ihr Gesicht nicht verlieren.«
Kristine sah ihn noch immer zweifelnd an.
»Wir haben ihn gesehen, Kristine«, sagte Reinhardt. »Wir haben ihn ganz deutlich gesehen. Nur du und ich auf der ganzen Welt haben sein Bild im Kopf. Und es ist jetzt sogar deutlicher als am Anfang, diesen Penner würde ich verdammt noch mal auf hundert Meter Entfernung erkennen.«
»Penner?«, fragte sie. »Aber wir wissen doch nicht, ob er es war. Du kannst sowas nicht sagen, er ist einfach an uns vorbeigegangen und zusammengezuckt, das ist doch normal.«
Reinhardt blätterte in der Zeitung.
»Dann hör mal her. Hör zu. ›Nach fünf Tagen hat sich der geheimnisvolle Spaziergänger aus dem Wald noch immer nicht gemeldet.‹ So. Da ist er endlich geheimnisvoll geworden. Du und ich haben das doch sofort gesehen.«
»Vielleicht ist er einfach schüchtern und traut sich nicht«, sagte sie. »Vielleicht ist er ins Ausland verreist.«
»Da könnte ich dir zustimmen«, sagte Reinhardt. »Und dann ist er bestimmt schuldig. Meine Theorie ist, dass die Lösung einfach ist. Der Mann, dem wir begegnet sind, hat Jonas August umgebracht. Er ist uns sozusagen in die Arme gelaufen und in Panik geraten. Er kauft sich sicher auch jeden Tag sechs Zeitungen und blättert ebenfalls mit klopfendem Herzen darin.«
Kristine ging wieder in die Küche. Es machte ihr schwer zu schaffen, dass er so auf diesen Mordfall fixiert war. Dann dachte sie, wenn der Fall erst geklärt ist, wird er an andere Dinge denken müssen und wieder er selbst werden. Aber auch das wollte sie nicht, ihr gefiel weder die neue noch die alte Ausgabe von Reinhardt. Doch dann schämte sie sich wieder, wie es eben ihre Art war. Die Tage kamen ihr jetzt unwirklich vor, die Herbstsonne zu grell, die Nachtluft zu rau, der Wind zu schneidend. Auch Reinhardts Verhalten war seltsam. Sie nahm eine Packung Rinderleber aus dem Kühlschrank und entfernte mit einem Messer die Haut von den dunklen Stücken. Reinhardt trat neben sie und kniff ihr liebevoll in die Wange.
»Deine Wangen fallen vor Ernst bald ein, Schatz«, sagte er scherzhaft.
Sie arbeitet weiter, ohne zu antworten. Die Leber blutete, das Schneidebrett wurde glatt und feucht.
»Dich beschäftigt es doch auch«, behauptete er, »aber aus irgendeinem Grund ist es unter deiner Würde, das zuzugeben. Ich gehe davon aus, dass du deine Gründe hast.«
Sie schwieg noch immer.
»Überall ist davon die Rede«, nervte er. »Natürlich finden die Leute sowas interessant.«
»Aber du begnügst dich ja nicht mit Reden«, sagte sie. »Du suhlst dich darin.«
»Ich schneide interessante Zeitungsartikel aus«, sagte er. »Also übertreib nicht.«
Wieder verkniff sie sich die Antwort.
Plötzlich änderte sich sein Tonfall.
»Soll ich dir etwas verraten?«, fragte er. »Ich habe Leber noch nie leiden können.«
Jetzt schaute sie auf.
»Aber du isst doch Leber? Immer?«
»Ja«, sagte er und legte ihr die Hände auf die Schulter. »Weil du sie als Eintopf kochst. Mit Zwiebeln und Champignons und Speck. Dann schmeckt sogar Leber.«
Sie arbeitete weiter, ihre Finger waren flink. Sie hatte ihn nicht gern so dicht bei sich, und es verwirrte sie, wenn seine Stimmung so abrupt umschlug.
»Was glaubst du, wo er wohnt, Kristine?«, fragte Reinhardt in ihren Nacken. »Ich glaube, er wohnt ein wenig abseits. Ich kann ihn mir nicht in einem großen Wohngebiet vorstellen, vielleicht hat er von seiner Mutter ein heruntergekommenes Haus geerbt, am Waldrand möglicherweise. Oder eine alte verfallene Hütte.«
»Wir wissen doch nichts darüber, wie er wohnt«, sagte sie
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