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Wer anders liebt (German Edition)

Wer anders liebt (German Edition)

Titel: Wer anders liebt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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Pause. Bückte sich und sah ihn an, wie er dasaß und wartete, die Hände auf das Lenkrad gelegt. Es kostete ihn arg viel, ihr in die Augen zu schauen, sie war so fest und stark und anständig, dass sie strahlte.
    »Sie wollen auch kein Geld ausgeben, sie gehen nie aus, sie sitzen einfach hier herum. Spielen Karten«, erklärte sie, »Poker, glaube ich. Aber nicht um Geld, sie sind so sparsam. Da haben wir etwas zu lernen, wir leben ja schließlich im Überfluss. Ja, du bist vielleicht eine Ausnahme, es war auch nicht so gemeint, aber jedenfalls, wir sind Gutes gewöhnt, das lässt sich nicht leugnen.«
    Er wartete darauf, dass sie zur Sache kam. Sein ganzer Körper kribbelte, er wollte weg hier.
    »Nein, es war nur eine Frage«, sagte sie jetzt, »ob du vielleicht so ein altes Kofferradio hast. So eins mit Batterien und Antenne. Die haben doch keinen Strom in der Scheune. Das wäre ja auch was«, fügte sie hinzu, »Strom in der Scheune. Als ob dieser Hof nicht schon genug kostete!«
    Sie lachte heiser. Er begriff nicht, was daran so komisch sein sollte.
    »So etwas habe ich seit vielen Jahren nicht mehr«, sagte er und ließ den Motor an. »Ich hatte ein altes Kurirradio, aber das habe ich weggeworfen. Oder auf den Flohmarkt gegeben«, fügte er hinzu.
    Er ließ den Motor aufheulen. Sie wich zurück, legte den alten Kopf schräg. Die Kopftuchzipfel in ihrem Nacken erinnerten an einen Vogel mit blauen Flügeln, wenn sie sich bewegte, wippten sie auf und ab.
    »Ich hätte ihnen ein bisschen Musik gegönnt«, sagte sie. »Die Abende sind so lang. Sie sind von Mai bis November hier, das ist das halbe Jahr, fort von der Familie. Fort von den Kleinen.«
    Wieder schwieg sie, stützte sich mit bleicher Hand auf das Auto.
    Die ganze Nation ist hinter mir her, dachte er, und sie bittet um ein altes Radio. Er umfasste das Lenkrad fester, Angst stieg in ihm auf mit einem gewaltigen inneren Druck, denn er war unter Menschen und das machte ihm eine wahnsinnige Angst.
    »Ja, ja, ich will dich nicht aufhalten«, sagte die Alte, »die kommen auch ohne zurecht. Ich bin nur eine alte Frau, die sich Sorgen macht. Hab sonst doch nicht soviel zu tun. Und was ich weiß, will niemand wissen, die wollen alles selber herausfinden. So ist das Leben, man kann nur den Mund halten, aber jetzt bin ich hier, und meine Zunge tanzt noch immer in meinem Mund.«
    Sie lächelte mit abgenutzten, gelben Zähnen und ging, er sah ihre krumme Gestalt hinter dem Treibhaus verschwinden. Das wurde seit vielen Jahren nicht mehr benutzt, viele Scheiben waren zerbrochen und widerstandsfähiges Unkraut klammerte sich wie Dschungellianen an die Wände. Und er dachte daran, dass er selbst an das alte Treibhaus erinnerte. Die Fassade war heruntergekommen und verwüstet, und drinnen wuchsen hemmungslos die verbotenen Lüste.
    Endlich konnte er fahren. Er hielt bei den Briefkästen und fischte allerlei Werbung heraus, ließ sie auf den Autoboden fallen und fuhr weiter zur Hauptstraße. Er hielt Ausschau nach weißen Autos. Zu seiner Freude kamen sie ihm in regelmäßigen Abständen entgegen, ein Subaru, ein HiAce, ein Opel. Im Fahren dachte er zurück an seine Mutter mit ihren vielen Launen. Ich war ein ängstliches Kind, dachte er, und ich war einsam. Dafür hat Mutter gesorgt. Mutter hatte immer eine Drohung parat, eine Ermahnung, eine scharfe Antwort. Ich wuchs unter einem Hagel von Vorwürfen auf.
    Diese Gedanken machten ihn traurig und seine Stimmung verdüsterte sich.
    19
     
    »Das erinnert mich an etwas«, sagte Sejer. »Etwas aus meiner Kindheit.«
    »Was ist mit deiner Kindheit?«, fragte Skarre.
    Er hatte Sejers Hund auf dem Schoß und spielte mit den plüschweichen Ohren.
    »Ich hatte ein Fahrrad mit Dynamo«, sagte Sejer, »und wenn ich schnell genug in die Pedale trat, brannte das Licht. Und jetzt müssen wir unser hohes Tempo halten, denn dann werde ich verstehen, wie das mit Jonas August passieren konnte.
    »Musst du das unbedingt verstehen?«, fragte Skarre. »Reicht es nicht, die Wahrheit zu finden?«
    »Nein, das reicht nicht. Der, der Jonas das Leben gestohlen hat, soll mir den Verlauf der Ereignisse bis ins kleinste Detail schildern. Er soll Sekunde für Sekunde erklären, warum es mit dieser Katastrophe enden musste.«
    »Gehen wir davon aus?«, fragte Skarre. »Von einer Katastrophe?«
    »Das kann schon sein.«
    »Und du wirst das Verbrechen versöhnlich betrachten? Und dich dann besser fühlen?«
    Sejer dachte nach. »Keine Versöhnung. Dazu

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