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Wer bin ich ohne dich

Wer bin ich ohne dich

Titel: Wer bin ich ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Nuber
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fühlten sich als Versagerinnen.
    Depressive Frauen, so zeigen diese beiden Studien, mögen von unterschiedlicher sozialer Herkunft, unterschiedlichen Alters und unterschiedlich gebildet sein – aber die Gründe, warum sie depressiv erkranken und wie sie das depressive Erleben schildern, sind ähnlich:
Sie leben häufig in Beziehungen, in denen sie sich nicht gut aufgehoben fühlen.
Gleichzeitig bemühen sie sich sehr darum, es dem Partner, aber auch anderen wichtigen Personen in ihrem Leben recht zu machen. Sie wollen deren Erwartungen – die oftmals auch ihre eigenen sind – erfüllen. Sie wollen ihrem Idealbild möglichst nahe kommen, einem Idealbild, das aus ihrer Sicht nur darin bestehen kann, möglichst perfekt zu sein.
Merken sie, dass sie diese Ziele nicht erreichen können, suchen sie die Schuld bei sich selbst. Sie halten sich für unfähig, glauben, dass mit ihnen etwas nicht stimmt, und strengen sich noch mehr an. Irgendwann aber sind sie am Ende ihrer Kraft und wissen nicht mehr weiter. Hilflosigkeit und Ohnmachtsgefühle beherrschen sie, ohne dass sie wüssten, wie sie in diese schlimme Lage geraten sind.
    Die Berichte dieser Frauen über ihr Leben vor der Depression und welche Erklärungen sie für ihre depressive Erkrankung fin | 82 | den, sind besorgniserregend, denn sie zeigen, wie sehr sich diese Frauen in die Pflicht nehmen: Sie sprechen von großen Selbstzweifeln und ihrem schwachen Selbstwertgefühl, sie sprechen davon, dass sie es unbedingt anderen recht machen wollen, weil sie dann hoffen, deren Zuwendung und Anerkennung zu bekommen, sie sprechen von den falschen Entscheidungen in ihrem Leben, weil sie sich selbst wenig zugetraut haben, und sie sprechen von ihrer schwierigen Kindheit und von Beziehungen, in denen sie sich alleingelassen und einsam fühlen.
    Die Antworten der befragten Frauen auf die Frage »Warum sind Sie depressiv geworden?« zeigen, dass die hohe Erkrankungsrate des weiblichen Geschlechts durchaus nachvollziehbare Ursachen hat und es zu kurz greift, dafür ausschließlich biologische Vorgänge oder gar verzerrte Diagnosen der Ärzte verantwortlich zu machen. Frauen fällt das Leben schwer, weil sie selbst zu viel von sich erwarten. Wer immer funktionieren will, wer immer freundlich und nett sein möchte, wer meint, sich immer um andere kümmern zu müssen, wer meint, dass er nicht gesehen wird, wenn er die Bedürfnisse anderer nicht erfüllt – der bricht irgendwann unter diesen hohen Erwartungen zusammen. Die Depression der Frauen ist in vielen Fällen das Ergebnis überzogener Erwartungen an sich selbst, gepaart mit viel zu großer Nachsicht für andere.
    »Es belastet mich schon sehr, dass alles an mir hängen bleibt«, sagt eine 41-Jährige. Neben ihrem Halbtagsjob versorgt sie ihren 11-jährigen Sohn und ist für Haushalt, Garten und die alte Mutter zuständig. Ihr Mann hat eine 50-Stunden-Woche und ist sportlich sehr aktiv. »Das braucht er als Ausgleich«, meint sie verständnisvoll. Dass er deswegen an drei Abenden pro Woche erst um 21 Uhr nach Hause kommt, nimmt sie hin. Dass sie unter der Belastung und dem Alleinsein leidet, kreidet sie sich selbst an: »Ich bin manchmal richtig aggressiv mir gegenüber, weil ich nicht | 83 | besser zurecht komme, und ich frage mich, was nur falsch an mir ist.« Dass ihre Aggression zum Teil ein nicht auszuhaltendes Ausmaß annimmt, gibt sie erst nach vielen Therapiegesprächen zu: »Ich verletze mich dann selbst, ich ritze mir die Haut auf.« Und schiebt gleich die Erklärung nach: »Ich bin doch nicht normal.« Wodurch ihre Aggression ausgelöst ist, wem sie eigentlich gilt, darf sie nicht spüren.
    So wie dieser Frau ergeht es den meisten depressiv erkrankten Frauen. Sie erkennen nicht, wie depressionsfördernd die Umstände sind, in denen sie leben; sie sehen nicht, dass der Stress in ihrem Leben extreme Ausmaße angenommen hat, sondern bemühen sich unablässig, die Anforderungen dennoch zu erfüllen. Sie wollen nicht spüren und wahrhaben, warum es ihnen nicht gut geht, wo die wirklichen Gründe dafür liegen. Wie die Müllerstochter bemühen sie sich, aus Stroh Gold zu spinnen, akzeptieren die unmöglichsten Aufgaben und suchen die Verantwortung bei sich, wenn sie nicht so funktionieren, wie sie es von sich erwarten.
    Der besondere Stress der Frauen und ihre spezifischen Erfahrungen mit sich und anderen wichtigen Menschen in ihrem Leben sollen im Folgenden genauer betrachtet werden. Denn hierin liegt die Antwort auf die

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