Wer bin ich ohne dich
mit hoher Doppelbelastung oder eine unzufriedene Hausfrau und Mutter, die der Familie zuliebe ihre Berufstätigkeit aufgegeben hat.
Häufig hört man den Vorwurf (und oftmals machen Frauen sich diesen selbst), dass Frauen selbst schuld seien an diesem Ungleichgewicht: Sie bräuchten ihre Männer doch einfach nur mehr heranziehen zu Haushalt und Kindererziehung. Sie könnten | 89 | doch dafür sorgen, dass Männer ihren Teil und ihre Pflichten erledigen. Viele Frauen sagen dann entweder »Ich bin doch nicht die Erzieherin meines Mannes« oder sie verweisen darauf, dass all ihre Bemühungen nicht fruchten. Klagen wie diese sind typisch: »Wie oft soll ich ihm noch sagen, dass er auch mal das Kochen übernehmen soll?«, »Wie oft soll ich ihm noch sagen, dass er früher nach Hause kommen soll, damit er die Kinder zu Bett bringen kann?«, »Wie oft soll ich ihm noch sagen, dass ich am Ende eines langen Tages gerne mit ihm entspannt reden würde?«
Bekommen Frauen darauf keine Resonanz, haben sie das Gefühl, dass sie keine Veränderungen bewirken können, und Resignation macht sich breit. Nach außen hin scheinen die Frauen zufrieden, doch innerlich sind sie nach wie vor angespannt und gestresst.
Dass Frauen oftmals tatsächlich auf Granit beißen, wenn sie in ihren Beziehungen für mehr Ausgewogenheit sorgen wollen, haben vor einigen Jahren niederländische Forscher bestätigt. Sie fanden heraus: Dass Frauen ihre Interessen, Wünsche und Bedürfnisse so schlecht durchsetzen, liegt unter anderem an den Strategien, mit denen Frauen versuchen, Veränderungen zu erreichen. Weil sie den offenen Konflikt scheuen, weil sie keinen Ärger machen wollen (siehe dazu auch das Unterkapitel »Nur keinen Ärger machen«), arbeiten sie mit wenig erfolgreichen, indirekten Strategien. Vorsichtiges Taktieren, versteckte Kritik, Winke mit dem Zaunpfahl sollen auf lange Sicht Veränderungen bewirken. Die meisten Frauen wollen Streit vermeiden und versuchen, dem Partner ihre Wünsche in homöopathischen Dosen zu verabreichen. Abwarten ist eine weitere weibliche Veränderungsstrategie. Die Frauen hoffen, allein durch Geduld eine Veränderung zu erreichen, was jedoch meistens nicht erfolgreich ist.
Auch Männer nutzen diese Strategie des Abwartens – aller | 90 | dings sind sie damit deutlich effektiver als die Frauen. Sie verhalten sich einfach passiv und sorgen durch ihr Nichtstun dafür, dass weiterhin alles beim Alten bleibt. In der niederländischen Studie gab ein Mann zu: »Ich mache nichts. Ich sitze still da, und dann ist es ihre Pflicht, nach den Kindern zu schauen. Ich reagiere einfach nicht. Im Allgemeinen akzeptiert sie das.« Und ein anderer meinte: »Wenn meine Mutter ärgerlich war, sagte ich auch nichts. Ich ging einfach meinen Weg, und das mache ich auch mit meiner Frau. Ich reagiere einfach nicht. Ich will es nicht hören, was sie zu sagen hat, und ich höre es nicht.«
Eine dritte Strategie der Männer ist ebenfalls erfolgreich: argumentieren. Viele Männer versuchen ihre Frauen davon zu überzeugen, dass alles, so wie es ist, in Ordnung sei. Mit guten Argumenten führen sie ihnen vor Augen, dass ihre Situation durchaus Vorteile habe, dass ihre Forderungen unvernünftig seien und sie keinen Grund zur Unzufriedenheit hätten. Auf die Gefühle der Frauen gehen sie dabei allerdings nicht ein und sorgen deshalb bei ihren Partnerinnen für Verwirrung, wie die niederländische Befragung zeigt: »Er denkt, ich sehe das alles nicht richtig. Er erinnert mich an dieses und jenes, und ich denke dann: Ja, er hat ja recht! Aber dann merke ich, dass das mit meinen Gefühlen nicht übereinstimmt, dass er darauf gar nicht eingeht und dass das mit den Fakten wenig zu tun hat. Aber dann denke ich, es ist alles meine Schuld.«
Der Stress der Mehrfachbelastung, der chronische Zeitmangel und die permanente Überlastung müssen nicht zwangsläufig in eine Depression führen. Wenn eine Frau von ihrem Partner oder anderen wichtigen Menschen Anerkennung für ihre Leistung bekommt, wenn sie mit ihren berechtigten Forderungen gehört wird und das Gefühl hat, in einer Beziehung aufgehoben zu sein und Wertschätzung zu erfahren, kann sie durchaus die Kraft für die vielfältigen Aufgaben aufbringen. Hat sie dagegen das Gefühl, | 91 | gegen eine Wand zu reden, nicht wahrgenommen zu werden oder spürt sie, dass ihr Einsatz für selbstverständlich gehalten wird, hat sie kaum Chancen, ihre Batterien aufzuladen. Kommt dann noch hinzu, dass sie sich
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