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Wer bin ich ohne dich

Wer bin ich ohne dich

Titel: Wer bin ich ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Nuber
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am Arbeitsplatz, die aus Sicht der Frauen für die Depression verantwortlich sind: Eine Frau musste wegen Burnout und Alkoholproblemen ihren Arbeitsplatz räumen und wieder eine andere, die in einem Männerjob tätig war, gab auf, weil sie sich gegen die Männerwelt nicht mehr länger durchsetzen konnte und wollte. Sie fühlte sich diskriminiert und bei Beförderungen systematisch übersehen. Eine weitere Frau wurde am Arbeitsplatz von den Kollegen gemobbt und fühlte sich außer Stande, weiter ihre Arbeit zu tun. Einen Suizidversuch hatte sie bereits überlebt und meinte dazu: »Ich war genervt von mir, weil ich das nicht schaffte | 79 | (den Suizid), und ich schämte mich. Noch nicht mal das bringe ich zuwege, wie auch so viel anderes nicht.«
Rollenerwartungen
    Als sie depressiv wurden, so erkannten die interviewten Frauen im Rückblick, lebten sie nach den Erwartungen der anderen. Sie versuchten einem Idealbild zu entsprechen, das sie verinnerlicht hatten und von dem sie glaubten, dass andere von ihnen die Erfüllung dieses Ideals erwarteten. Sie bemühten sich, eine gute Tochter, eine gute Mutter, eine gute Ehefrau, eine gute Schwester, eine gute Freundin zu sein. Die Erwartungen anderer zu erfüllen, war ein wichtiges Ziel im Leben dieser Frauen, es gab ihrem Leben einen Sinn. Dass es aber vor allem anstrengend und ein aussichtsloses Unterfangen war, realisierten die betroffenen Frauen oft lange Zeit nicht. Mussten sie trotz aller Bemühungen dann irgendwann einsehen, dass sie ihre hochgesteckten Ziele nicht erreichen konnten, gaben sie sich selbst die Schuld. So meinte eine der Befragten: »Ich habe nicht die Kraft, so zu sein, wie ich sein sollte. Ich bin keine gute Mutter, ich erfülle das Mutterbild nicht, das ich im Kopf habe. Ich habe keinerlei Fähigkeiten oder Ressourcen.«
Sorge für und um andere
    Für die befragten Frauen war es selbstverständlich, dass sie das eigene Leben den Bedürfnissen anderer unterordneten. Es gehörte zu ihrem Selbstverständnis, sich um andere zu kümmern: um kranke Angehörige, um ein Enkelkind, um die alten Eltern, um den hilfsbedürftigen Nachbarn. Rückblickend wundert es sie nicht, dass sich all diese Zusatzaufgaben auf Dauer nicht mit ih | 80 | ren ohnehin vorhandenen Aufgaben in Beruf und Familie vereinbaren ließen. So meint eine der Befragten: »Heute ist es mir klar! Aber damals konnte ich nicht erkennen, wie unmöglich das alles war. Ich dachte, es läge an mir, dass ich nicht gut genug bin.« Und eine andere Befragte gab zu: »Ich hatte das Gefühl für richtig und falsch verloren. Ich wusste nicht, was ich für mich machen darf oder wie viel ich für andere tun muss.« Eine weitere Frau erinnert sich, dass sie sich über die Sorge für andere völlig aus dem Blick verloren hatte: »Ich war unsichtbar, ein Neutrum. Ich wollte jeden erfreuen, meine Eltern, meinen Ehemann. Auf deren Bedürfnisse achtete ich, doch mit mir selbst war ich extrem kritisch und verlangte sehr viel von mir.«
Falsche Entscheidungen
    Übereinstimmend erzählten die befragten Frauen, dass sie in ihrem Leben mindestens eine gravierend falsche Entscheidung getroffen hatten. Sie führten das auf ihre Unsicherheit, ihre psychische Instabilität, auf ihre fehlenden sozialen Fähigkeiten und ihr schwaches Selbstwertgefühl zurück. Tatsächlich könnte ihr negatives Selbstbild die Erklärung sein: Weil sie von sich selbst keine hohe Meinung und ein falsches Bild hatten, weil sie ihre Möglichkeiten und Fähigkeiten nicht kannten, stellten sie die Weichen in ihrem Leben falsch. Sie entschieden sich in dem eng gesteckten Rahmen dessen, was sie für richtig hielten. Sie wählten zum Beispiel Männer, die sie nicht liebten, die aber Sicherheit und Zuwendung, Stabilität und Wohlstand zu geben schienen – all das, was sie als Kind nicht bekommen hatten und in ihrem Leben sehr vermissten. Sie benutzten die Ehe oft, um aus unglücklichen Verhältnissen herauszukommen. Irgendwann aber erkannten sie, dass dieser Deal nicht aufging. Obwohl sie sich | 81 | anpassten, obwohl sie versuchten, alles richtig zu machen, bekamen sie nicht, was sie sich wünschten: Geborgenheit, Unterstützung, ein befriedigendes Leben.
    Doch auch hierfür suchten die Frauen die Schuld bei sich. Sie glaubten beispielsweise, dass sie für ihre Einsamkeitsgefühle verantwortlich sind, ebenso wie für ihre Selbstunsicherheit. Sie warfen sich vor, schon immer »anders« gewesen zu sein, nicht gelernt zu haben, wie das Leben geht. Sie

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