Wer bin ich ohne dich
können aufgrund des Gespräches eine Entwicklung machen.
Frauen brauchen solche Gespräche. Frauen wollen in Beziehungen leben, die durch ein Geben und Nehmen, durch Reden und Zuhören gekennzeichnet sind. Frauen geben Einfühlung und wünschen sich Einfühlung. Frauen ermutigen und wollen ermutigt werden. Frauen müssen sagen dürfen »Das ist wichtig für mich« und »Es ist wichtig für mich, dass ich dir das mitteilen kann«. Solange sie das können, bleiben sie gesund. Haben sie dazu keine Möglichkeit, leiden sie an und in ihren Beziehungen – und das ist der Boden, auf dem Depressionen entstehen können.
Frauen sind auf harmonische Beziehungen angewiesen, sie brauchen die Gewissheit, mit anderen verbunden zu sein. Doch leider gibt es im Leben von Frauen, die depressiv werden oder depressionsgefährdet sind, zu wenig Menschen, die ihnen in gewünschter Weise ein Gegenüber sind, die ihnen Resonanz geben, die zuhören und antworten. Das erschwert es ihnen, ihre Gefühle zu erkennen und ihre Gedanken einzuordnen. Wenn ausbleibt, was sie sich wünschen, unterdrücken sie ihren Ärger und ihre Enttäuschung darüber, sie schieben ihre Gefühle beiseite. Und sie reden sich selbst ihre Bedürfnisse aus. Ihr eigenes Anliegen halten sie dann oft für nicht wichtig genug, sie wollen keinen Ärger machen, keinen Konflikt riskieren. Um des lieben Friedens willen bringen sie sich zum Schweigen. So wie Brigitte verzichten sie auf ihr Thema und stellen sich auf die Belange des anderen ein. Die Niedergeschlagenheit, das schlechte Gefühl, das sie danach haben, dürfen sie bewusst nicht mit dem Gesprächsverlauf oder | 121 | der Haltung des Partners in Verbindung bringen, denn sonst müssten sie sich eingestehen, dass sie vom anderen enttäuscht sind und ihre Beziehung nicht so gut ist, wie sie es sich selbst einreden. Die Wahrheit darf nicht ans Licht kommen, weil die betroffenen Frauen Angst haben vor den Konsequenzen, die sie daraus ziehen müssten.
Nur keinen Ärger machen!
Damit die Distanz, die sie in ihren Beziehungen erleben, nicht allzu schmerzhaft spürbar wird, entwickeln manche Frauen ein Verhalten, das man als »folgsame Anpassung« bezeichnen könnte. Folgsame Anpassung liegt dann vor, wenn eine Frau ihre eigenen Wünsche und Impulse zurückhält, weil sie fürchtet, sonst weniger liebenswert zu sein, weil sie fürchtet, den anderen zu verärgern und mit Liebesentzug bestraft zu werden. Sie schweigt, obwohl sie eigentlich reden möchte, ordnet sich unter, obwohl sie eigentlich etwas ganz anderes tun möchte. Brigitte zeigt diese folgsame Anpassung, wenn sie ihre Sorge um ihre Gesundheit nicht mehr thematisiert, sondern dem Anliegen von Fred folgt und mit ihm über den Besuch seines Chefs spricht.
Diese »Bravheit« entsteht, wenn die Angst, den anderen zu verlieren, größer ist als der Wunsch, die eigenen Bedürfnisse und Rechte zum Ausdruck zu bringen. Die Vorstellung, der andere könnte nicht einverstanden sein, er könnte sich ärgerlich oder empört abwenden, ist für folgsam angepasste Frauen nur schwer auszuhalten. Sie signalisieren ihm deshalb lieber, dass sie seinen Willen respektieren. Wie die Müllerstochter im Märchen, die sich ihrem Vater und auch dem König nicht widersetzte, wollen auch viele reale Frauen oft keinen Konflikt heraufbeschwören: Sie wollen keinen Ärger machen (und zeigen ihren Ärger deshalb nicht), | 122 | sie wollen den Partner oder andere wichtige Personen in ihrem Leben nicht nerven und schon gar nicht enttäuschen. Denn schlimmer noch als unglückliche Beziehungen sind konfliktbeladene Beziehungen. Streit und Vorwürfe sind schwerer auszuhalten als Kälte und Distanz.
Babette ist Leiterin eines Gymnasiums. Tüchtig, klug, anerkannt und beliebt im Kollegium und bei den Schülern. Doch so durchsetzungsfähig sie im Beruf ist, so schwach ist sie, wenn es mit ihrem Partner Peter Konflikte gibt. Geht er am Morgen im Streit aus dem Haus, kann sie sich nicht konzentrieren. Dann lässt sie sogar während des Unterrichts das Handy an, weil sie hören will, ob eine SMS von ihm eingeht. Das ist aber meist nicht der Fall. »Immer bin ich es, die angekrochen kommt, egal, wer am Streit Schuld hatte.« Sie hält den Konflikt nicht aus, sie will, dass er sich ihr wieder zuwendet, sie hat Angst vor seinem Schweigen. Deshalb ruft fast immer sie ihn an und bittet um Entschuldigung. »Auch wenn ich mir gar keiner Schuld bewusst bin.«
Es ist ein wichtiges Merkmal depressiver Frauen, dass
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