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Wer bin ich ohne dich

Wer bin ich ohne dich

Titel: Wer bin ich ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Nuber
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läuft sie Gefahr, sich selbst als »nicht richtig« zu betrachten. Irgendetwas muss mit ihr nicht stimmen, denn sonst wäre sie es ja wert, dass man ihr Aufmerksamkeit und Zuwendung schenkt. | 118 | Das, was in Beziehungen passiert, in denen Frauen depressiv werden, ist oft sehr subtil und wird meist von den Betroffenen selbst nicht bewusst registriert. Ein Beispiel:
    Brigitte leidet seit längerem unter seltsamen, quälenden Schmerzen. Bislang hat sie sich mit Medikamenten geholfen, doch weil diese nicht mehr wirkten, wandte sie sich an einen Facharzt. Als sie am Abend nach dem Arztbesuch nach Hause kommt, ist sie aufgewühlt von der Diagnose – Rheuma! Natürlich will sie sofort mit ihrem Mann Fred darüber reden. Der reagiert zunächst auch interessiert, hört Brigittes Erklärungen zu und will dann wissen: »Was kann man dagegen tun?« Irgendwie findet er ihre Erklärung unbefriedigend und meint dann: »Du solltest eine zweite Meinung einholen.« Und als Brigitte nicht gleich antwortet, fügt er hinzu: »Übrigens hatte ich heute ein Gespräch mit meinem Chef. Ich muss wohl das neue Projekt übernehmen. Er wird in den nächsten Tagen zum Essen zu uns kommen. Kannst du dir überlegen, was du kochen könntest?«
    Fred geht nicht weiter auf die Situation von Brigitte ein. Für ihn ist die Sache erst einmal abgeschlossen: Sie soll sich eine zweite Meinung holen. Und sie soll etwas für ihn tun. Brigitte fühlt sich in diesem Moment von ihrem Mann abgeschnitten – sie spürt keine Verbindung zu ihm. Sie ist verwirrt, denn sie kann ihre Gefühle nicht artikulieren und weiß auch nicht, ob diese Gefühle überhaupt angemessen sind. Vielleicht nicht, denn sonst würde Fred doch darauf eingehen? Warum fängt er von seinem Projekt und dem Chef an, wo sie doch seine ganze Zuwendung braucht? Brigitte fühlt sich gestresst. Als sie einen weiteren Versuch macht, sich und ihre Sorgen um ihre Gesundheit zu verdeutlichen, erntet sie Zurückweisung: »Du übertreibst sicher. So schlimm wird es schon nicht sein.« Brigitte denkt nun, dass sie ein Problem hat beziehungsweise dass sie das Problem ist. Der Ärger, der aufkommt, darf nicht sein, muss unterdrückt werden und kommt nun zu ihrer ursprünglichen Angst um ihre Gesundheit hinzu. Um dieses Gefühlswirr | 119 | warr aushalten zu können, distanziert Brigitte sich von ihren eigenen Gefühlen – und wendet sich Fred zu. Sie geht auf seine Frage ein und bespricht nun mit ihm den bevorstehenden Besuch des Chefs. Gut geht es ihr dabei nicht. Sie fühlt sich im Stich gelassen, und mit ihrer Angst bleibt sie allein.
    So manche Frau wird dieses Gesprächsmuster kennen: Sie möchte über sich, über ihre Sorgen oder die Beziehung reden, der Partner aber macht einen konkreten Lösungsvorschlag – und damit ist für ihn das Thema erledigt. Für Frauen sind solche Gespräche nicht nur unbefriedigend; sie werden dadurch, vor allem wenn noch andere Erfahrungen der Beziehungslosigkeit hinzukommen, zutiefst verunsichert. Sie zweifeln an sich und ihrer Wahrnehmung, zweifeln an ihrem Wert für den anderen. Doch statt sich zu wehren, schlucken sie ihre Worte, die der Partner nicht hören will, hinunter, und mit ihnen die Enttäuschung oder den Ärger. Sie bringen sich zum Schweigen.
    Wie müssten Gespräche wie jene zwischen Brigitte und Fred ablaufen, damit eine Frau das Gefühl hat, mit ihren Bedürfnissen wahrgenommen zu werden? Eine Antwort darauf findet man, wenn man Brigitte eine andere Person zur Seite stellt: ihre Freundin Ulrike. Als diese von Brigittes Krankheit erfährt, reagiert sie einfühlsam: »Das muss ein Schock für dich sein! Wie fühlst du dich?« Das gibt Brigitte die Chance, von ihren Ängsten zu erzählen. Sie weiß nicht, wie umgehen mit der Krankheit, sie weiß nicht, ob sie die empfohlene Cortisonbehandlung wirklich will, sie fragt sich, ob vielleicht Akupunktur oder eine andere Alternative sinnvoll wäre. Sie ist verunsichert. Ulrike versucht, sie zu beruhigen. »Lass uns mal gemeinsam im Internet nach Informationen suchen«, sagt sie.
    Dieses Gespräch erfüllt zwei wichtige Kriterien, die Frauen von einer guten Beziehung erwarten: Sie ist gekennzeichnet durch | 120 | gegenseitige Einfühlung und gegenseitige Ermutigung. Das Gefühl, beim anderen gut aufgehoben zu sein, entsteht, wenn man über seine eigenen Gefühle und Gedanken sprechen kann und diese eine Resonanz im anderen finden. Der wiederum fügt seine eigenen Gedanken und Gefühle hinzu – und beide

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