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Wer bin ich ohne dich

Wer bin ich ohne dich

Titel: Wer bin ich ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Nuber
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empfindet. Die Anschuldigungen und Vorwürfe, die sie gegen sich selbst richtet, sind eigentlich Ankla | 125 | gen gegen den anderen, von dem sie sich enttäuscht und im Stich gelassen fühlt.
    »Wenn mein Mann ungerecht ist oder etwas tut, was ich zutiefst missbillige, dann fällt es mir schwer zu zeigen, was ich fühle, oder zu sagen, was ich denke. Meist schlucke ich meinen Ärger runter. Aber das tut mir nicht gut, das spüre ich. Ich fühle mich dann niedergeschlagen, irgendwie wertlos«, beschreibt eine depressive Frau den Zusammenhang zwischen unterdrücktem Ärger und ihrer Schwermut. »Anstatt mal Tacheles zu reden, scheint es einfacher für sie zu sein, die Wut gegen sich selbst zu richten, mit dieser Wut kennen sie sich aus«, sagt Verena Kast über depressive Menschen. »Sie fürchten, die Wut der anderen könnte sie vernichten. Um ihre Würde nicht zu verlieren, richten sie sich im Schweigen ein. Das kann zu einer Überlebensstrategie werden. Schweigen ist durchaus eine Form von Aggression, die sehr wirksam sein kann. In dem Schweigen kann auch der heimliche Vorwurf stecken ›Sieh her, das hast du alles nicht getan für mich.‹«
    Nicht nur Schweigen ist eine (selbst-)destruktive Art, Ärger auszudrücken. Frauen, die es nicht wagen, offen mit ihren Gefühlen umzugehen, sind oft indirekt feindselig. Sie reden nicht mehr, ziehen sich zurück, antworten nur einsilbig auf Fragen. Doch dieser stille Ärger macht oft alles noch schlimmer. Auf jeden Fall weicht das Gefühl der Machtlosigkeit nicht, sondern vergrößert nur die Distanz zum Partner. Fatal, denn genau das wollen die sich im Stillen ärgernden Frauen ja gerade vermeiden.
    Wenn sie dann doch mal Zeichen von Ärger zeigen – eine Tür zuknallen, weinen oder toben –, erklären sie es häufig selbstschädigend und entschuldigen sich dafür: »Ich habe meine Tage«, »Tut mir leid, ich habe die Kontrolle verloren«. Sie sagen nicht »Ich bin stocksauer auf dich, ich ärgere mich über dich«, sondern sie verleugnen ihre Wut und reden ihre Gefühle und sich selbst klein. | 126 |
    Manche Frauen üben auch stille Sabotage. Sie sagen nichts, sie beschweren sich nicht, sie konfrontieren den oder die anderen nicht – aber ihnen passieren unerklärliche Dinge, die zeigen, dass es in ihnen heftig arbeitet. So vergessen sie beispielsweise wichtige Angelegenheiten, die sie erledigen sollten, oder tun so, als hörten sie nicht, dass der Partner etwas sagt, oder verweigern die Antwort auf eine Frage. Doch wohl fühlen sie sich mit all diesen Strategien nicht. Manchmal ertappen sie sich dabei, dass sie ihre Wut an Dingen auslassen (»Als er zur Tür raus war, habe ich einen Teller auf den Boden geschmissen, weil ich nicht mehr wusste, wohin mit meiner Wut«), oder sie verhalten sich ihren Kindern gegenüber ungerecht. Das finden sie dann besonders verwerflich, meist entschuldigen sie sich sofort und machen sich noch lange danach schwere Vorwürfe.
    Ohnehin sind ständige selbstkritische Selbstgespräche eine gängige Methode, um Ärger unter Kontrolle zu halten: »Was bin ich doch für eine blöde Kuh! Ich bin viel zu dick! Wie ich nur wieder aussehe! Mir gelingt aber auch gar nichts! So blöd kann ja nur ich sein!« Sprechen Frauen auf diese Art und Weise mit sich selbst, verspüren sie garantiert keinen Ärger mehr auf den Partner (oder die Kollegin oder die alte Mutter), sie sind nur noch ärgerlich auf sich selbst: Sie machen es nicht gut genug, sie sind nicht gelassen, sie nehmen sich alles zu Herzen, sie sind zu empfindlich, sie sind einfach nicht so, wie sie sein sollten.
    Doch auf diese Weise werden sie den Ärger natürlich nicht los. Denn Ärger verlangt nach einem positiven Ausdruck. Wie jedes Gefühl ist auch dieses eine Art Kompass. Ärgergefühle zeigen uns, dass etwas nicht in Ordnung ist. Ihre Funktion ist es, Beziehungen zu regulieren oder gestörte Bindungen zu reparieren.
    Unterdrückter Ärger hält die Situationen aufrecht, die ihn auslösen. Eine Chance zur Veränderung wird nicht genutzt. Die Störquellen in Beziehungen werden nicht angesprochen, unter | 127 | schiedliche Erwartungen und enttäuschte Gefühle nicht zum Ausdruck gebracht. Und zudem bedeutet Ärgerunterdrückung: Ich nehme mich selbst nicht ernst, ich gebe mir nicht das Recht, meine Beurteilung einer Situation oder eines Verhaltens kundzutun.
    Depressive Frauen müssen wissen: Wenn der Partner (oder ein anderer »Ärgerauslöser«) niemals Gegenwind bekommt, wenn er nie

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