Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer bin ich ohne dich

Wer bin ich ohne dich

Titel: Wer bin ich ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Nuber
Vom Netzwerk:
Schlussfolgerungen sind nicht falsch. Sicher haben Frauen, die depressiv erkranken, ein Defizit an Autonomie. Sicher wäre etwas gewonnen, würden sich Frauen von bestimmen Erwartungen verabschieden. Und sicher fehlt es Männern häufig an der notwendigen Einfühlungsfähigkeit in die Bedürfnisse ihrer Partnerinnen. Doch solche Veränderungen sind alles andere als einfach. Damit sich Männer und Frauen in der skizzierten Weise in Bewegung setzen können, muss zunächst eine wichtige Voraussetzung erfüllt sein: Beide Geschlechter müssen ein tieferes Verständnis für sich selbst, aber auch für den jeweils anderen entwi | 138 | ckeln. Sie müssen verstehen, wie eine Frau zur Frau und ein Mann zum Mann wird. Nur auf der Basis dieses Wissens sind dauerhafte Veränderungen möglich.
    Was ist damit gemeint? In den Beziehungen zwischen Männern und Frauen kann sich nur dann grundlegend etwas zum Besseren verändern, wenn Frauen wissen, woher ihre Beziehungsorientierung kommt, dass sie nicht schon mit dieser Eigenschaft auf die Welt kommen. Ebenso wichtig ist es für sie zu erkennen, dass Männer in gewisser Weise zu dem »gemacht« werden, worunter Frauen in ihren Beziehungen häufig leiden: zu distanzierten, schweigsamen, scheinbar wenig einfühlsamen Wesen. Dieses Wissen ist natürlich in erster Linie für depressiv erkrankte Frauen und ihre Partner von großem Nutzen, aber durchaus auch für nicht von dieser Krankheit betroffene Partnerschaften.
    Wenn man die Entwicklung und das Leben von Frauen wie auch von Männern unvoreingenommen und ohne ideologische Scheuklappen betrachtet, wird man feststellen, dass Beziehungsstörungen, die unter bestimmten Umständen bei Frauen zu einer Depression führen können, nur oberflächlich auf die »Kälte« und »Uneinfühlsamkeit« der Männer beziehungsweise auf die »Bedürftigkeit« und »Abhängigkeit« der Frauen zurückgeführt werden können. Vielmehr sitzen beide Geschlechter im selben Boot, wenn auch der Kurs dieses Bootes für Frauen gefährlicher ist als für Männer.
Weil ich ein Mädchen bin
    Fragt man, woher die Bindungsorientierung von Frauen kommt, und interessiert man sich dafür, warum Männer in ihren Partnerschaften oftmals die Bedürfnisse ihrer Partnerinnen so schwer erfüllen können, findet man Antworten in der Entwicklungspsy | 139 | chologie der Geschlechter. Diese darf bei der Erforschung der weiblichen Depression nicht vernachlässigt werden.
    Die Bindung an andere Menschen ist für das weibliche Geschlecht von enormer Bedeutung und zunächst wichtiger als Autonomie. Gute, funktionierende Beziehungen zu anderen zu haben, ist für Frauen ein elementares Merkmal ihrer weiblichen Identität. Frauen richten ihren Blick gerne und selbstverständlich auf andere: Wie geht es ihnen, was brauchen sie, was können sie für diese tun? Sie fühlen sich ein, und sie fühlen mit. Ihr Selbstwertgefühl basiert auf der Fähigkeit, Beziehungen zu knüpfen und aufrechtzuerhalten. Gelingt ihnen das, sind sie mit sich im Reinen. Frauen wollen nicht nur gute Kontakte zu anderen Menschen haben, sie wollen auch aktiv die Entwicklung der anderen unterstützen, seien es ihre Kinder, ihre Partner, ihre Freunde. Frauen sind an Beziehungen interessiert, in denen sie selbst wachsen können, die aber auch für ihr Gegenüber einen Gewinn bringen. Kurz: Sich bezogen auf andere Menschen erleben zu können, ist ein zentrales Bedürfnis von Frauen.
    Bleibt dieses Bedürfnis unerfüllt, müssen Frauen immer und immer wieder die Erfahrung machen, dass wichtige Beziehungen trotz intensiver Bemühungen scheitern, unglücklich verlaufen oder erst gar nicht zustande kommen, führen diese Erfahrungen zu einem tiefen Verlustgefühl. Kommt zu diesem Verlust dann noch eine ganz bestimmte Interpretation hinzu, wird das Selbstwertgefühl der betroffenen Frauen noch weiter beschädigt. Die betroffenen Frauen haben dann oft den Eindruck, den Sinn ihres Lebens verloren zu haben, nichts mehr wert zu sein ohne den wichtigen anderen. Wer bin ich ohne dich? Im Extremfall weiß eine Frau darauf nur eine Antwort: »Nichts«. Der Verlust von Beziehungen beziehungsweise das Fehlen enger Beziehungen ist ein wichtiger Auslöser für die weibliche Depression.
    In der Regel stoßen die betroffenen Frauen in ihrer Trauer auf | 140 | wenig Verständnis (sie verstehen sich ja oft selbst nicht), sie werden nicht getröstet und vor allem werden sie nicht darin unterstützt, dass ihr Streben nach Beziehung wichtig und

Weitere Kostenlose Bücher