Wer bin ich ohne dich
wäre nicht ihre Freundin, weil sie sich dann aufgeregt hätte, und dann hätte sie ganz allein da gestanden … ich habe mich dann entschlossen, dass ich ja sagen würde, und dann würde ich es (meiner besten Freundin) erklären. So wäre es dann am besten. Die eine hätte dann ein gutes Gefühl, und dann würde ich wieder zu der anderen gehen, damit sie auch ein gutes Gefühl hat. Ich glaube, so wäre es am besten … Ich möchte nicht, dass sich irgendjemand aufregt, weil ich dann wieder ewig deprimiert wäre … ich möchte, dass mich die anderen mögen, auch dann wenn ich jemanden nicht mag.‹«
Mädchen sind schon als Dreijährige deutlich seltener zum Leistungswettbewerb mit Gleichaltrigen bereit als Jungen. Das ist das | 143 | Ergebnis einer Studie, in der das Wettbewerbsverhalten von über 1000 Kindern und Jugendlichen zwischen 3 und 18 Jahren untersucht wurde. Je nach Alter mussten die Teilnehmer Rechenaufgaben lösen oder einen Wettlauf absolvieren und konnten dadurch Geld verdienen. Im Laufe des Versuchs hatten sie die Wahl, ob sie gegen Gleichaltrige antreten wollten, um ihre Verdienstmöglichkeiten zu steigern. Im Schnitt entschieden sich 40 Prozent der Jungen, aber nur 19 Prozent der Mädchen für die Wettbewerbsvariante. In allen Altersgruppen lag der Abstand zwischen den Geschlechtern bei etwa 15 bis 20 Prozentpunkten. Dabei war es unerheblich, ob die Kinder in gemischten oder gleichgeschlechtlichen Gruppen gegeneinander antraten.
Warum verhalten sich die Geschlechter schon von klein auf so unterschiedlich? Die Psychologie erklärt dies mit den ungleichen Entwicklungsanforderungen, die an Mädchen und Jungen gestellt werden. Hier spielen vor allem die differenten Erfahrungen in der Mutter-Kind-Beziehung eine Rolle. Alle Kinder sind zunächst eng und symbiotisch an die Mutter gebunden. Wenn sie älter werden, sehen sich Mädchen und Jungen jedoch mit unterschiedlichen Aufgaben konfrontiert: Für Söhne besteht die Herausforderung darin, sich aus der engen Beziehung zur Mutter zu lösen und sich mit dem Vater (oder einer Vaterfigur) zu identifizieren (dazu mehr im nächsten Abschnitt).
Mädchen dagegen brauchen sich nicht von der Mutter trennen, um ihre Geschlechtsidentität zu finden. Sie können »in Beziehung« bleiben. Während Söhne die Nähe und enge Bindung an die Mutter aufgeben müssen, wird dieser schwierige Schritt von Mädchen nicht verlangt, jedenfalls nicht so früh und nicht so radikal. Die Identitätsentwicklung von Mädchen ist nicht von der gelungenen Ablösung von der Mutter abhängig, sie finden ihre Identität innerhalb der Bindung an die Mutter. | 144 |
Diese unterschiedlichen Sozialisationsanforderungen wirken sich auf das Erziehungsverhalten der Eltern aus. Sie reagieren unterschiedlich auf Söhne oder Töchter. Im Allgemeinen ent mutigen sie den Ausdruck von Bindungsbedürfnissen bei Jungen, indem sie diese anleiten, sich unabhängig zu verhalten, während sie es Mädchen erlauben, nach Nähe und Unterstützung zu suchen. Und sie ermutigen Mädchen mehr als Jungen, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Mütter wie Väter machen ihre Töchter (weniger ihre Söhne) darauf aufmerksam, wie andere bestimmte Situationen empfinden und erklären ihnen die Bedeutung von Gefühlen. Das führt dazu, dass die Geschlechter unterschiedliche Fähigkeiten entwickeln: Jungs zeigen Unabhängigkeit, Neugier, Entdeckerfreude und Leistung. Mädchen zeigen Fürsorge, Einfühlungsvermögen und Verantwortlichkeit. Oder anders ausgedrückt: Mädchen entwickeln ein »Beziehungsselbst«, Jungen ein »autonomes Selbst«. Für Mädchen ist »in Beziehung sein« für ihre Identitätsentwicklung richtig und wichtig; für Jungs sind Unabhängigkeit und Eigenständigkeit bedeutsame Elemente ihrer Entwicklung zum Mann.
Sich kümmern und binden
Neben dieser entwicklungspsychologischen Erklärung, warum Beziehungen für Frauen so wichtig sind, hat die amerikanische Psychologin Shelley Taylor vor einigen Jahren eine evolutionstheoretische Erklärung beigesteuert. Danach hat die Beziehungsorientierung des weiblichen Geschlechts auch evolutionäre Wurzeln. Wie Taylor herausgefunden hat, reagieren Männer und Frauen unterschiedlich auf Stress. Während das starke Geschlecht das in der Stressforschung gut bekannte Muster »Flüchten oder Kämpfen« zeigt, bewältigen Frauen belastende Situationen anders. Ausgehend von der Kritik, dass Stressstudien in der Vergan | 145 | genheit vor allem das männliche
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