Wer bin ich ohne dich
Heribert Schwan schreibt in seinem Buch über die Ehefrau des Ex-Kanzlers Helmut Kohl: »Nach Meinung von Ärzten … sprach sehr viel dafür, dass Hannelore Kohl an einer schweren Depression litt, möglicherweise verbunden mit der Wahnvorstellung, sie könne Licht nicht mehr vertragen.« Doch ganz offensichtlich wollte Hannelore Kohl dies nicht wahrhaben, ihre Depression blieb unbehandelt. Als Frau des ehemaligen Bundeskanzlers glaubte sie, sich keinem Psychotherapeuten oder Arzt öffnen und ihre wirklichen Gefühle und Gedanken mitteilen zu können. Sie nahm selbst im größten Leid noch Rücksicht auf ihren Mann. Unerträglich wurde ihre Situation, »als sich Gerüchte häuften, wonach ihr Mann seit längerem eine Liebesbeziehung zu einer bedeutend jüngeren Frau unterhalte. Das alles zog ihr den brüchigen Boden unter den Füßen weg«, schreibt | 130 | Schwan. Der Suizid erschien ihr in dieser verzweifelten Situation als Rettung. »Psychotherapeuten sehen in Hannelores Selbsttötung eine letzte Aggression gegen sich und ihr Umfeld«, schreibt Schwan. »Es ist ein unbewusster destruktiver Akt, der bei den Hinterbliebenen das tiefe Gefühl von Schuld hinterlassen kann.«
Frauen, die die Signalfunktion ihres Ärgergefühls überhören, stellen sich nicht der Wahrheit über ihre Beziehung. Sie wollen nicht erkennen, wie unglücklich sie möglicherweise bereits sind, wie enttäuschend sich der Partner verhält, wie anstrengend das Leben mit diesem Menschen längst für sie geworden ist. Sie versperren sich selbst den Zugang zu ihrer Enttäuschung. Sie wollen nicht wahrhaben, dass ihre Beziehung nicht so ist, wie sie es sich wünschen und wie sie sie erhofft hatten. Sie bezahlen diesen blinden Fleck in ihrer Wahrnehmung mit Depression. Nun sind sie der Problemfall – und nicht die Beziehung. Nun sind sie unfähig und unzulänglich – nicht der Partner. Nun sind sie ganz alleine daran schuld, wenn sie mit dem Leben und mit ihrer Beziehung nicht zurechtkommen.
Frauen, die nicht wahrnehmen, was wirklich ist, die »negative« Gefühle nicht spüren und ausdrücken dürfen, die schweigen, wenn sie reden müssten, bringen sich selbst zum Verschwinden. So klagen depressive Frauen häufig: »Ich habe mich verloren, ich weiß gar nicht mehr, wer ich bin.« Das Einzige, was sie noch wissen: So wie sie sind, zählen sie nicht. So wie sie sind, dürfen sie nicht sein. Die Kluft zwischen dem wahren Selbst und dem Selbst, das sie anderen zeigen, wird immer größer – und immer größer werden dann auch die Verzweiflung und die Gefahr der Depression. Es ist ein Teufelskreis, in dem depressive Frauen sich befinden: Sie wünschen sich Nähe, Zuwendung, Wärme vom Partner oder von anderen Menschen. Um das zu bekommen, glauben sie, dass sie keinen Ärger zeigen und machen dürfen, dass kein Miss | 131 | ton und keine Missstimmung die Harmonie der Beziehung stören darf. Sie glauben, dass der Partner ihre Meinung, ihre Stimme nicht hören will. Also passen sie sich an und ordnen sich unter. Aber sie wissen, dass sie eigentlich anders sind und dass ihre Beziehungen nicht das sind, wofür sie sie ausgeben. Das macht sie hilf- und hoffnungslos. Sie glauben, dass ihr wahres Selbst keine Chance auf Liebe und Zuwendung hat. Um diese Ängste abzuwehren, um die Beziehung nicht zu gefährden, vergraben diese Frauen ihr wahres Selbst und sorgen dafür, dass es schweigt.
Nun stellt sich natürlich die Frage: Warum verhalten sich Frauen so? Warum erheben sie nicht ihre Stimme, um für sich zu sprechen? Warum passen sie sich an, wo Widerstand notwendig wäre? Warum muten sie sich anderen nicht zu?
Sind Frauen feige?
»Die Beziehung ist für Frauen das wichtigste Thema. Das ist wirklich noch immer so, ich erlebe es ständig. Für Männer gilt das viel weniger. Die haben andere Probleme, ihr Verhältnis zu Frauen ist nur eines unter anderen. … Frauen machen sich in der Regel mehr Gedanken um einen Mann als über sich selbst. Wie finde ich den richtigen Partner? Liebt er mich wirklich? Ist er mir treu? Das beschäftigt Frauen enorm, das ist typisch weiblich … Es ist schon erstaunlich, was Frauen alles in Männer hineinprojizieren. Und was sie bereit sind, für den Mann zu tun und aufzugeben. Seine Bedürfnisse stehen für sie ganz klar im Vordergrund. Und plötzlich finden auch eigentlich starke Frauen nichts mehr dabei, sich nach ihm zu richten, nach seiner Karriere, nach dem, was ihm wichtig ist. Sie sind wie verwandelt.«
»Es gibt so
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