Wer Bist Du, Gott
gemacht.
WUNIBALD MÜLLER: Vor einigen Jahren besuchte ich die Ausgrabungen unter der Peterskirche. Hier soll sich das Grab des Petrus befinden, der bei den Christenverfolgungen unter Nero im Jahre 64, so Tacitus in seinen »Annalen«, umgekommen ist. Ob es sich wirklich um sein Grab handelt, weiß man nicht. Doch bereits 160 nach Christus entwickelte sich eine Tradition, dass es sich um das Petrusgrab handle.
Allein diese Vorstellung ist faszinierend. Auch die Prachtentfaltung hier im Vatikan hat etwas Faszinierendes, zugleich aber auch Distanz Schaffendes. Was »unten« in den Ausgrabungen zu sehen ist, spricht mich mehr an.Wenn ich in die Tiefe steige und schaue, was sich darunter oder dahinter befindet, dann verliert das, was sich darüber befindet, an Bedeutung. Das geschieht, weil ich mich nicht länger davon abhalten lasse, mich dem Kern, dem Wesentlichen, zu öffnen.
In unmittelbarer Nähe dieser Gegend wurden Christen ermordet, unter ihnen vielleicht auch Petrus. Es spricht vieles dafür, dass seitdem an dieser Stelle Petrus verehrt wird. Was sich daraus entwickelt hat, findet an dieser Stelle, in dieser Kirche auf irgendeine Weise seinen Ausdruck. Ich finde das überwältigend. Manchmal muss man in die Tiefe hinabsteigen, um dem genius loci , dem »Geist des Ortes«, zu begegnen, der sich in der Wuchtigkeit der Peterskirche zu verflüchtigen scheint.
ANSELM GRÜN: Für mich ist es auch faszinierend, dass dieser einfache Fischer Petrus aus dem verträumten Kafarnaum in die damalige Hauptstadt des Römischen Reiches gekommen ist. Lukas berichtet uns ja davon, dass Paulus an den Kaiser appelliert hat und deshalb aus dem Gefängnis in Jerusalem nach Rom transportiert wurde. Dort hat er dann das Evangelium Jesu Christi freimütig verkündet. Bei allen dunklen Seiten der römischen Kirchengeschichte berührt es mich doch, dass sich die Christen nicht versteckt haben, sondern sich in alle wichtigen Städte der damaligen Welt gewagt und den Dialog mit der griechischen und lateinischen Philosophie begonnen haben. Das hat die christliche Lehre für alle Menschen attraktiv gemacht.
Wenn ich die ersten Spuren des Glaubens in Rom - vor allem in den Katakomben - betrachte, dann spüre ich auch, wie ein Schauer über meinen Rücken läuft. Da haben Menschen im Untergrund ihren Glauben gelebt. Aber irgendwann hat ihr Glaube von unten her die ganze Gesellschaft durchdrungen und für den Geist Jesu Christi geöffnet.
Das ist für mich ein schönes Bild für uns. Manchmal habe ich auch den Eindruck, dass der Glaube an den Gott Jesu Christi in der Öffentlichkeit kaum eine Rolle spielt. Dennoch vertraue ich darauf, dass wir - wenn wir in den Katakomben der heutigen Welt, in der Verborgenheit der stillen Räume des Gebetes unseren Glauben authentisch leben - diese Welt verwandeln und mit dem Geist Jesu Christi infizieren.
WUNIBALD MÜLLER: Als ich damals das Grab des Petrus besuchte, hielt ich an der prächtigen, hinter Glas liegenden Grabstätte kurz inne und betete. Ich betete für die katholische Kirche, meine Kirche, dass Gutes von ihr ausgehe. Und als würde ich etwas von dem wiedergefundenen genius loci festhalten wollen, brachte ich zwei kleine Kreuzchen, die ich im Devotionalienladen vor der Grabanlage gekauft hatte, in Berührung mit dem Grab. Dies erinnert mich an meine Unzulänglichkeit, an mein Bedürfnis, etwas zu materialisieren, was ich nicht materialisieren kann - anstatt mit dem zufrieden zu sein und das zu pflegen, was allein der angemessenen Weise der Verbindung zu und des Ausdrucks von Gott entspricht: im Geiste und in der Wahrheit.
ANSELM GRÜN: Es ist ein Urbedürfnis des Menschen, den Glauben handfest auszudrücken.Vor ein paar Jahren hat mich ein Therapeutenkongress zu dem Thema »Magie und Religion« eingeladen. Da ist mir aufgegangen, dass Magie nicht nur etwas Schlechtes ist, sondern dass sie dem Bedürfnis der Menschen entspricht, den Glauben in handfesten Formen zum Ausdruck zu bringen.
Magie verfälscht nur den Glauben, wenn wir Gott vereinnahmen und über ihn verfügen möchten. Die echte Magie will nicht über Gott verfügen, sie hat nur das Bedürfnis, Gott und das Göttliche zu berühren. Dazu braucht sie die Reliquien, den Kuss des Altars oder einer Heiligenstatue. Schon in den ersten Jahrhunderten haben die Christen ihre Taschentücher an die Gräber der Märtyrer gehalten, um an ihrem Glauben teilzuhaben. Wir können darüber lächeln. Aber es ist
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