Wer Bist Du, Gott
ein gesundes Bedürfnis, dass sich unser Glaube nährt von dem Glauben anderer Menschen. Mit der Berührung der Kreuzchen wolltest du, dass sich dein Glaube vom Glauben des Petrus befruchten lässt.
In den Grund der Kirche hinabsteigen
WUNIBALD MÜLLER: Auch Kirche ist ja in einer gewissen Weise der Versuch, etwas von Gott zu »materialisieren«. In einer Diskussion stellte C.G. Jung die Frage in den Raum, ob denn Gott so etwas wie die Kirche als Gefäß benötige, um sich zum Ausdruck zu bringen. Er verneint das. Für ihn ist dieses »Gefäß« der Mensch selbst. Ich weiß nicht, was Gott braucht. Ich weiß, dass ich froh bin, dass es Kirchen gibt, und ich bin gerne Mitglied meiner Kirche.
Das Blut der Märtyrer ist der Samen der Kirche. Sie haben ihr Blut gelassen, aus dem etwas entstand und entsteht, was uns einlädt, immer wieder an uns selbst zu prüfen, wie nah oder wie weit entfernt wir von unserem Ursprung sind.
Wofür wir unser Blut einsetzen, unser Leben.Was aus unserem Samen geworden ist. Auch wenn wir uns mit der Zeit, über die Jahrzehnte hinweg, von unserem Ursprung entfernt haben mögen, auch wenn nach außen hin vieles von dem, was uns eigentlich zugedacht war, sich nicht entfaltet haben mag, so dürfen wir selbst durch die Verzerrungen hindurch, wenn wir uns die Zeit dafür nehmen und genau hinschauen, das Eigentliche sehen.
Dabei kann es helfen, in die Tiefe zu gehen, an den Anfang zurückzugehen, mit dem Ursprung in Berührung zu kommen. Das kann dazu beitragen, das Gegenwärtige wieder mehr im Lichte des Anfangs zu sehen. Es kann dazu beitragen, besser zu verstehen, was schiefgelaufen ist in der Entwicklung. Oder es kann dazu beitragen, zu verstehen, warum das, was am Anfang stand und galt, sich einfach so entwickelt hat. Doch was sich entwickelt hat, kann sich ja auch weiterentwickeln - mithilfe und angelegt durch die Erhellung des Anfangs. Manchmal freilich muss man erst zum Grund oder zu Grunde gehen, um wieder dorthin zu kommen. Das gilt auch für die Kirche.
ANSELM GRÜN: Für mich bedeutet, in den Grund der Kirche hinabzusteigen, immer wieder in der Bibel zu lesen und zu verstehen, was Jesus eigentlich gemeint hat. Aber ich vertiefe mich auch in die Schriften der frühen Kirchenväter. Wie haben sie Jesus verstanden? Wie haben sie die Kirche verstanden? Für die frühen Kirchenväter war ja die Erfahrung der Gemeinschaft im Glauben, die Gemeinschaft der Kirche sehr wichtig. Sie haben von der Kirche in wunderbaren Bildern gesprochen.
Gerade heute, wo wir ja eher kritisch von der Kirche sprechen, frage ich mich nach den Erfahrungen, die diese frühen Christen und frühen Kirchenväter mit der Kirche gemacht haben. Bei aller Brüchigkeit war die Kirche für sie doch die Erfahrung, dass das Reich Gottes sichtbar geworden ist, weil Juden und Griechen, Männer und Frauen, Arme und Reiche, Gebildete und Ungebildete miteinander in Frieden leben konnten. Es ist die faszinierende Erfahrung, die Paulus in die folgenden Worte gefasst hat: »Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid ›einer‹ in Christus Jesus« (Gal 3,28).
Von Gott her denken
WUNIBALD MÜLLER: Geht es mir wirklich um Gott, dann kann ich nicht nur von mir her, von der Tradition, von der Kirche her denken und handeln. Dann darf, ja muss ich von Gott her denken und handeln. Da aber können mir Zen oder auch Formen helfen, die das Begreifen übersteigen. Sie können uns in eine Weite und Tiefe führen, die unsere zuweilen sehr engen, spitzfindigen und komplizierten Vorstellungen, Gedankenkonstruktionen und Annahmen von Gott sprengen.
Wie schnell laufen wir doch Gefahr - das gilt für den Bischof nicht weniger als für den Durchschnittsmenschen -, Gott unsere Vorstellungen von dem, was er anscheinend
will, überzustülpen, anstatt uns von der Unendlichkeit Gottes in dem, was wir glauben und für richtig erachten, führen und inspirieren zu lassen. Von Gott her zu denken heißt auch immer wieder, von der Ewigkeit und der Unendlichkeit her zu denken. Gott wird immer und ewig unser Gott sein. Jerusalem und Rom werden untergehen. Gott wird nicht untergehen. Ich werde untergehen, vermutlich wird auch irgendwann das untergehen, was wir Welt nennen.
ANSELM GRÜN: Nicht nur Jerusalem und Rom werden untergehen. Auch das, was wir über den Glauben schreiben, wird keinen Bestand haben. Die Bücher werden gelesen. Aber nach einigen Jahren denkt niemand mehr daran.
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