Wer Bist Du, Gott
aufweisen können. Worauf es ankommt, ist, Gott in unser Leben und unseren Alltag hereinzulassen, sei es am Arbeitsplatz, in der Partnerschaft, in der intimen oder oberflächlichen Begegnung, im Beten, im Dienst am Nächsten.Worauf es ankommt, ist, dass Gott in unser Leben und in unseren Alltag einbricht, die Trennung zwischen Heiligtum und Profanem überwunden wird. Es kommt darauf an, dass Gott nicht in die Kirchen oder Rituale eingesperrt wird, sondern in seiner Unermesslichkeit als allgegenwärtig wirkend erfahrbar wird.
Dann sind die Kirchen Einrichtungen und Orte, die akzentuieren, was immer schon ist, auch außerhalb von ihnen. Es sind Orte, die daran erinnern und dazu auffordern, Gott in unserem Alltag die Türen zu öffnen, sodass seine beseelende und heilende Kraft auf unser Leben - und dann eines Tages auch auf unser Sterben - einwirken kann. Das schließt
für mich ein, steht in keiner Weise im Gegensatz dazu, an den Gott zu glauben, wie ich ihn durch meine Kirche kennengelernt habe. Im Gegenteil: Vor diesem Hintergrund kommt er erst richtig zum Leuchten und zum Strahlen.
Die Kirche trägt mit Sorge dafür, dass zum Beispiel der Rahmen der Eucharistiefeier gewährleistet wird. Die Kirche schafft Strukturen, die helfen sollen, die Beziehung zu Gott und zu Christus zu pflegen und die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, aufzuzeigen und umzusetzen. Mir ist meine Zugehörigkeit zur katholischen Kirche wichtig. Ich bin ganz bewusst Katholik. Obwohl es so manches in der katholischen Kirche gibt, was mir nicht passt, ist das, was mir passt, um vieles mehr als das, was mich stört.
Meine Beziehung zu Gott pflege und lebe ich auch im Kontext meiner Kirche, vor allem in der Eucharistiefeier. Allein meine Beziehung zu Gott, meine spirituellen Erfahrungen sind nicht festgelegt durch den »katholischen Rahmen«. Sowenig sich Gott auf das reduzieren lässt, was die katholische Kirche ausmacht oder über ihn sagt, so wenig kann ich Gott, mein Verständnis von ihm und vor allem meine Erfahrung mit ihm, auf das beschränken, was eine Glaubensgemeinschaft vorgibt.
ANSELM GRÜN: Wenn es uns wirklich um Gott geht, dann verlieren die Diskussionen über die Zukunft der Kirche das penetrante Pochen auf Rechthaben. Keiner von uns hat die Wahrheit. Gott allein ist die Wahrheit. Wir können die Wahrheit nie besitzen, sondern uns ihr nur annähern. Auch Gott können wir nicht besitzen.Wenn wir uns diesem unbegreiflichen Gott öffnen und uns ihm hingeben, dann
wird er uns auch konkrete Wege zeigen, wie wir in der Kirche mit der Frage nach den künftigen Strukturen gut umgehen können.
Entscheidend ist, dass es bei allen Fragen nicht um Macht und Machterhalt geht, sondern darum, dass Gott sich uns zeigt und dass die Menschen in ihrer Sehnsucht nach Gott angesprochen werden. Wenn Gott zum Mittelpunkt wird, kommt der Mensch in seine Mitte, findet auch die Kirche ihre Mitte, aus der heraus sie ihre Zukunft planen kann.
GOTT WIRD IN ALLEM OFFENBAR
Die spirituelle Erfahrung setzt unserem Leben die Krone auf
WUNIBALD MÜLLER: Wir haben uns jetzt schon recht lange über Gott unterhalten und sind dabei wie selbstverständlich von Gott und seiner Existenz ausgegangen. Doch - und ich finde es wichtig, sich immer wieder auch dieser Frage zu stellen - ist es nicht absurd, an Gott zu glauben? Die Vorstellung zu hegen, es gäbe so etwas wie Gott, der in unsere Gegenwart und Wirklichkeit hineinwirkt, es gäbe da eine andere Wirklichkeit, die auf unser Leben einwirkt, und das so kräftig, dass andere Einflüsse nicht dagegen ankommen können?
Das aber ist der entscheidende Punkt: Es geht darum, in die Wirklichkeit Gottes einzutreten und die Wirklichkeit Gottes in unsere Welt eintreten zu lassen. Gott als Wirklichkeit zu sehen, zu akzeptieren und dann in den unmittelbaren Kontakt mit ihm zu treten. Den Graben zu überwinden, der zwischen mir und Gott - anscheinend - besteht. Diesen »garstigen« Graben, wie ihn ein Philosoph einmal nannte.
Mir fällt dazu ein Gedicht von Rainer Maria Rilke (1986) ein, hier ein Auszug:
Du, Nachbar Gott
Du, Nachbar Gott, wenn ich dich manches Mal
in langer Nacht mit hartem Klopfen störe -
so ist’s, weil ich dich selten atmen höre
und weiß: Du bist allein im Saal.
Und wenn du etwas brauchst, ist keiner da,
um deinem Tasten einen Trank zu reichen:
Ich horche immer. Gib ein kleines Zeichen.
Ich bin ganz nah.
Nur eine schmale Wand ist zwischen uns;
durch Zufall; denn es könnte sein:
ein
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