Wer Bist Du, Gott
Auch unsere Gedanken sind nicht für alle Menschen interessant. Sie erreichen nur einige. Da entsteht dann ein Austausch, eine Beziehung. Aber das ist immer auch begrenzt. Gott ist grenzenlos. Vor seiner Ewigkeit verblasst alles, was wir tun. Da verblasst der imposante Bau von St. Peter. Da verblassen alle theologischen und spirituellen Versuche, über Gott zu schreiben, um Gott den Menschen näherzubringen.
Unsere Worte können Türen öffnen, damit Gott durch sie zu den Menschen eintritt.Aber Gott braucht diese Türen nicht. Er berührt die Menschen dann und dort, wann und wo er will. Er kann Menschen ansprechen, ohne dass sie ein Buch lesen. Denn er ist in jedem Herzen und hat Zugang zu jedem Herzen. Was die Kirche, was wir tun können, das ist nur: die Herzen für diesen unbegreiflichen Gott der Liebe zu öffnen.
Die heilige Kirche
WUNIBALD MÜLLER: Ja, das ist, das wäre die Aufgabe der Kirche. Die Kirche soll uns den Zugang zu Gott erleichtern, manchmal auch bahnen - und ihn nicht erschweren oder verbauen. »Die Kirche soll und will nicht mehr sein als Bau, Wohnung oder Tempel des Geistes Gottes. Das wird sie umso mehr sein, je mehr sie im Geist um ihre eigene Relativität weiß und bemüht ist« (Schütz 1988, S. 604). Der Kirche muss es um Gott gehen.
Ich habe mich lange recht schwer damit getan, im Glaubensbekenntnis von der heiligen katholischen Kirche zu sprechen. Denn ich erlebe meine Kirche, aber auch andere Kirchen, oft als alles andere als heilig. Joseph Ratzinger (2005, S. 321ff.) setzt sich in seiner Einführung in das Christentum auch mit der heiligen katholischen Kirche auseinander. Er schreibt dazu unter anderem:
»Die Jahrhunderte der Kirchengeschichte sind so erfüllt von allen menschlichen Versagen, dass... uns die furchtbaren Worte des Pariser Bischofs Wilhelm von Auvergne (aus dem 13. Jahrhundert) begreiflich scheinen, der meinte, ob der Verwilderung der Kirche müsse jeder, der das sieht, vor Schrecken erstarren. ›Braut‹ ist das nicht mehr, sondern ein Untier von furchtbarer Ungestalt und Wildheit... Ich gestehe: für mich hat gerade die Unheiligkeit der Kirche etwas unendlich Tröstendes an sich. Denn müsste man nicht verzagen vor einer Heiligkeit, die makellos wäre und die nur richtend und verbrennend auf uns wirken könnte?... Die Kirche ist am meisten nicht dort, wo organisiert, reformiert, regiert wird, sondern in denen, die einfach glauben und hier
das Geschenk des Glaubens empfangen, das ihnen zum Leben wird.«
Um diese Kirche weiß ich und an die heilige Kirche glaube ich. Die Kirche, die manchmal jetzt schon aufscheint. Die davon beseelt ist, Menschen zur Heiligkeit zu führen. Die, damit das geschieht, nicht Arm in Arm mit den gesellschaftlichen Trends geht, unmenschlich und krank machendes Unternehmergebaren an den Tag legt, Menschen seelisch ausbeutet. Es ist die Kirche, die einen anderen Rhythmus vorgibt. Den Rhythmus des kosmischen Tanzes, den Tanz der Schöpfung, den Tanz der Befreiung, der uns aus dem Trott des »Du musst«, »Du darfst nicht«, »Du sollst« herausführt.
ANSELM GRÜN: Der Religionspädagoge Albert Biesinger sagte einmal zu Recht, wir sollten die Kinder nicht um Gott betrügen. So ist es auch unsere Aufgabe als Kirche, die Menschen nicht um Gott zu betrügen, sondern die Frage nach Gott offenzuhalten in dieser Welt. Darin sieht auch, wie vorhin bereits erwähnt, Max Horkheimer die Aufgabe der Religionen: Durch ihre Verkündigung und ihre Rituale sollen sie die Sehnsucht nach dem ganz Anderen in der Gesellschaft wachhalten. Damit leisten sie der Gesellschaft einen Dienst, der sie davor bewahrt, sich absolut zu setzen. Die Sehnsucht nach dem ganz Anderen wachzuhalten, ist die Bedingung, dass die Gesellschaft menschlich bleibt und darauf verzichtet, den verabsolutierenden Tendenzen von Wirtschaft und Politik Raum zu geben.
Während eines Osterkurses erzählte mir eine Studentin, sie käme deshalb so gerne nach Münsterschwarzach, weil es
einer der wenigen Orte in der Kirche sei, an dem es nicht um die typisch kirchlichen Probleme wie »Papst und Pille« gehe, sondern um Gott. Die Menschen sehnen sich danach, dass wir ihnen helfen, ihre Sehnsucht nach Gott zu spüren und dieser Sehnsucht so zu folgen, dass sie Gott erfahren als das Geheimnis, das sie trägt.
Gott allein ist die Wahrheit
WUNIBALD MÜLLER: Was wirklich zählt, ist nicht, wie viele Kirchen wir haben, wie oft wir den Gottesdienst besuchen, wie viele religiöse Symbole wir
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