Wer Bist Du, Gott
wachzuhalten. Indem die Dogmatik sich nicht von der Mediensprache vereinnahmen lässt, hält sie die Sehnsucht nach dem ganz Anderen wach. Das ist für Horkheimer letztlich ein Dienst an der Gesellschaft. Denn jede Gesellschaft hat die Tendenz, autoritär zu werden. Wir spüren diese autoritäre Tendenz heute hautnah, wenn alles, was wir tun, immer nur nach finanziellen Gesichtspunkten bewertet wird. Das tut unserem Miteinander nicht gut.
WUNIBALD MÜLLER: Mir gefällt, wenn der Philosoph Jean-Luc Nancy in seinem Buch Dekonstruktion des Christentums aufzeigt, wie das Christentum selbst dafür sorgt, dass es nicht dogmatisch wird, indem es die eigene Botschaft unterläuft. »Das Christentum glaube an einen Abwesenden, der zugleich anwesend ist, an den EINEN, der mehrfach in sich geteilt ist« (in: Assheuer 2009, S. 79). Auch habe das Christentum sich von jeher auf den »Tod Gottes eingelassen«.
Da wird in einer Weise und mit einer Weite von Gott gesprochen, die für mich Voraussetzung ist, um ernsthaft von Gott zu sprechen, auch wenn selbst das für mich natürlich nicht mehr ist als ein hilfloses Stammeln über Gott.
GOTT UND DIE KIRCHE
Die ersten Spuren des Glaubens in Rom
WUNIBALD MÜLLER: Als ich von einem nächtlichen Spaziergang durch Rom in den Vatikan zurückkam, konnte ich mich nicht der Faszination entziehen, die der von Scheinwerfern angestrahlte Petersdom in mir auslöste. Doch so imposant es auch ist, wie die katholische Kirche sich hier präsentiert, so gilt auch für sie, dass sie in conspectu aeternitatis, »angesichts der Ewigkeit«, für einen Moment etwas darstellt, das vergänglich ist - nicht mehr als ein Hauch, der, kaum ausgehaucht, wieder vergeht. Der Petersdom ist keine 500 Jahre alt, das Christentum rund 2000 Jahre.
Als ich in meiner Unterkunft im Vatikan, der Casa Maria Martha, ankam, ging ich in die dunkle Kapelle des Gästehauses. Die Dunkelheit, die Stille, die Umrisse des Kreuzes - sie luden mich ein, innezuhalten und in Kontakt mit meinem Inneren und mit Gott zu treten. An diesem Ort, in dieser Kapelle fühlte ich mich wohl. Diese Atmosphäre, die ich dort erfahre, ist es, was ich mit Kirche verbinde. Nicht die klerikale Atmosphäre, die mich umgab, als ich die Casa Maria Martha betrat. Ich habe kein Problem, das zu akzeptieren.
Aber es ist nicht meine Welt. Die Kapelle in der Casa Maria Martha ist meine Welt. Sie steht für die Welt der Ewigkeit, in die ich eintauche, wenn ich eintauche in meine Tiefe, wenn ich eintauche in die Beziehung zu dem Ewigen, zu Gott.
Nun könnte man sagen, dass es diese Welt des Ewigen auch außerhalb der Kirche gibt. Und das trifft ja auch zu. Doch für mich hat es auch eine große Bedeutung, dass die Art und Weise, wie ich meine Beziehung zu Gott gestalte, eingebunden ist in Angebote und Rituale, die sich bewährt haben. Die dazu beitragen können, meine Beziehung zu Gott zu vertiefen und zusammen mit anderen zum Ausdruck zu bringen. Ich denke da vor allem auch an die Gottesdienste, vornehmlich die Eucharistiefeier oder die Abendmahlsfeier.
ANSELM GRÜN: Von 1967 bis 1971 habe ich in Rom studiert. Von Sant’ Anselmo aus konnten wir durch das Schlüsselloch auf den Vatikan schauen. Oft genug war ich in St. Peter. Doch noch mehr als der Vatikan haben mich die alten Kirchen interessiert: San Clemente mit dem alten Mithras-Heiligtum unterhalb der Kirche, das Kolosseum und die römische Geschichte auf dem Kapitol. In Rom atmen wir nicht nur kirchliche Luft, sondern die Luft einer uralten Geschichte. Diese Geschichte hat sich mit der Geschichte der Kirche verbunden. Es ist schon faszinierend, in dieser Stadt zu leben. Ich habe die internationale Atmosphäre genossen.
In Sant’ Anselmo haben wir mit Mitbrüdern aus vielen Nationen auf engstem Raum zusammengelebt. Da hatten
wir teil an ihrem Schicksal, aber zugleich war es immer auch ein kirchliches Getto. Doch es gibt in Rom auch die Basisgemeinden, die ihren Glauben auf lebendige Weise zum Ausdruck bringen.
Für mich war es eine Herausforderung, in dieser Stadt den Ursprüngen meines Glaubens nachzuspüren, durch die Höhen und Tiefen der Kirchengeschichte auf den Grund durchzudringen und dort das eigentliche Fundament meines Glaubens freizulegen. Wenn wir in Sant’ Anselmo mit Pater Godehard gregorianischen Choral gesungen haben, dann war das lebendiger Glaube. Da haben die alten Texte ihre spirituelle Kraft entfaltet. So habe ich auch in Rom wichtige spirituelle Erfahrungen
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