Wer Bist Du, Gott
Gott. Da braucht es die Demut, die nicht mit den eigenen Fähigkeiten angibt, die Freiheit von Betrug und die Freiheit von Habsucht. Die Mönche sollen ihre Produkte immer etwas billiger verkaufen als die Weltleute. In diesem Verzicht auf den optimalen Profit wird Gott verherrlicht. In der Art und Weise, wie ich arbeite und handle, wird deutlich, dass es mir um Gott geht und nicht um mich und mein Ego.
Unser Novizenmeister Pater Augustin hat uns im Noviziat diesen Satz des heiligen Benedikt ausführlich erklärt. Er setzte ihn dem Grundsatz des heiligen Ignatius von Loyola entgegen, der seine Mitbrüder auffordert, »Gott in allem zu finden«. Pater Augustin meinte, im benediktinischen Grundsatz sei Gott das Subjekt, im ignatianischen der Mensch, wohingegen Gott das Objekt sei. An dieser Deutung ist sicher etwas richtig.
Mir scheint aber noch etwas anderes bedeutsam: Ich kann den Satz so übersetzen, dass Gott durch unser Tun verherrlicht wird, oder aktiv, dass wir Gott durch unser Handeln verherrlichen sollen. Ich kann aber den Satz auch anders deuten: Gott möge in allem, nicht nur in dem, was wir tun, sondern in allem, was ist - in der Blume, im Baum, in den Menschen, in der Stille, im Gebet, im Singen, in der Kunst -, offenbar werden. Gottes Ehre soll sichtbar werden in den Dingen. Der Begriff doxa hat in der Bibel immer auch die Bedeutung von göttlichem Lichtglanz. Wir sollen so mit den Dingen dieser Welt umgehen, dass wir in ihnen den göttlichen Lichtglanz entdecken, dass wir in ihm Gottes Herrlichkeit wahrnehmen, die schon in den Dingen dieser Welt ist.
Die Frage nach Gott ist daher für mich immer auch eine Frage nach der Welt. Mit welchen Augen schaue ich in die Welt? Sehe ich in allem Gottes Herrlichkeit, Gottes Glanz, Gottes Schönheit? Die Kunst wäre, so wie Jesus in allen Dingen Gottes Glanz zu entdecken. Wenn Jesus sich den wahren Weinstock nennt oder sich mit der Tür, dem Brot, dem Wasser vergleicht, dann weist er uns darauf hin, dass wir in den Dingen dieser Welt das Geheimnis Gottes entdecken können. Im Weinstock können wir erkennen, dass Gottes Liebe uns durchströmt. Im Brot können wir erleben, dass Gottes Wort uns nährt. Im Wasser entdecken wir, dass der Heilige Geist wie eine Quelle in uns strömt und uns erfrischt und stärkt.
WUNIBALD MÜLLER: Das weitet das Verständnis von Spiritualität. So ist jemand nicht nur dann spirituell, wenn oder weil er ein geistliches Amt innehat, sich Imam, Bischof,
Priester, Guru nennen lässt, in die Kirche geht, an einem Gottesdienst teilnimmt, von Gott spricht und sich auf Gott beruft. Auch die Person, die durch ihr Äußeres, etwa ihre Kleidung, in keiner Weise an etwas Geistliches erinnert, die nicht in die Kirche geht, um dort zu Gott zu beten, ihn zu verehren, die nicht von Gott spricht, kann eine zutiefst spirituelle Person sein, die in allem Gottes Herrlichkeit und Schönheit sieht. Sie mag ganz eigene Formen gefunden haben, in den Austausch mit Gott zu treten, lebt aus der erfahrenen Nähe Gottes, in der sie verankert ist.
Ich kann es daher auch gut verstehen, wenn Menschen sich nicht blenden lassen von Einrichtungen und Menschen, die mit dem Anspruch auftreten, spirituell zu sein, in ihren Worten und Taten aber weit davon entfernt sind. Menschen spüren - zumindest wenn sie gut hinsehen und auf ihr Inneres hören -, ob diese Personen ihrem Anspruch gemäß leben, also tatsächlich verankert sind in Gott oder nicht. Ob und wie sich ihre Spiritualität auf ihr Leben und ihren Alltag auswirkt und dazu beiträgt, die Grenzerfahrungen ihres Lebens bewältigen zu können, sich dem Sterben und dem Tod zu stellen.
Gott ist immer da
WUNIBALD MÜLLER: Gott ist nach meiner Überzeugung immer da, wie er schon immer da war und immer da sein wird. Er ist in einer Bar nicht weniger anwesend als in der Natur oder in einer Kirche. Aber wir sind nicht immer
wach, innerlich eingestellt auf die Anwesenheit Gottes in uns und in unserem Leben. Gott lebt in uns und mitten unter uns. Gott lässt sich nicht zurückdrängen auf die Kirchen oder ausdrücklich religiöse Aktivitäten.
Gott schließt auch niemanden aus. Er ist für alle und alles da, für die ganze Schöpfung, die ganze Welt und alle Menschen: die Armen und die Reichen, die Gefangenen und die in Freiheit Lebenden, die seelisch und körperlich Kranken und die Gesunden, die Alten und Jungen, die Homosexuellen und die Heterosexuellen, die Herrschenden und die Obdachlosen. Entscheidend ist,
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