Wer Bist Du, Gott
geschehen.«
ANSELM GRÜN: Das Problem ist sicher, dass für viele Menschen Gott wirkungslos geworden ist. Sie nehmen ihn nicht wahr. Man spricht über Gott wie über ein interessantes Thema. Aber es geht uns nichts an. Es verändert unser Leben nicht. In frühen Zeiten hat man über Gott gesprochen und spürte zugleich seine Wirkung. Friedrich Nietzsche ist ja nicht glücklich darüber, dass wir Gott getötet haben. Er leidet darunter. Er weiß, dass dadurch die Welt kälter wird.
Sicher ist der »Tod Gottes« auch eine Chance. Denn wir haben den Gott getötet, den wir missbraucht haben, um Menschen kleinzuhalten und ihnen Angst zu machen. Aber wir dürfen das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.Vielmehr sollten wir Ausschau halten nach dem Gott, der uns - nach dem Wort von Paul Tillich, das du zitiert hast - unbedingt angeht, über den wir nicht sprechen können, ohne dass wir selbst davon berührt sind.
Die Worte Nietzsches, der ja ein sehr feines Gespür für die Nöte der Menschen hatte und selbst an seinem Hin und Her zwischen Glauben und Unglauben litt, sind für uns eine ständige Herausforderung. Nietzsche gibt selbst die Antwort auf seinen Text über den Tod Gottes. Er meint: »Wo Verzweiflung und Sehnsucht sich begatten, da ist Mystik.« Wenn Gott tot ist für uns, dann führt uns das in die
Verzweiflung. Doch wenn wir nicht in derVerzweiflung stecken bleiben, sondern sie mit unserer Sehnsucht verbinden, dann entsteht Mystik, dann springen wir hinein in eine Erfahrung, die wir nur mit Mystik beschreiben können. Es ist keine Sicherheit über Gottes Existenz. Aber es ist eine Ahnung, dass unsere Verzweiflung nur geheilt werden kann, wenn wir auch der Sehnsucht unseres Herzens trauen, dass da ein Gott ist.
»Gott ist in uns, aber wir befinden uns außerhalb unserer selbst«
WUNIBALD MÜLLER: Erklärt die abnehmende Sensibilität für Gottes Anwesenheit in unserem Leben und in unserer Welt nicht auch die zunehmende Ruhelosigkeit, die unser Leben zu beherrschen scheint? Wir haben den inneren Bezug verloren zu dem, was uns trägt und hält.Wir machen nicht länger die Erfahrung,Teil eines Größeren zu sein.Wir gehen auf in den alltäglichen Sorgen für unseren Unterhalt, die Familie, unsere Gesundheit.Wirtschaftliche und politische Krisen verstärken unsere Sorgen und Ängste. Wir müssen uns noch mehr anstrengen, noch mehr leisten, noch mehr tun.
Uns bleibt immer weniger Zeit, innezuhalten, uns zu zentrieren und das zu beherzigen, was Karl Valentin auf humorvolle Weise einmal so ausdrückte: »Heute besuch ich mich, hoffentlich bin ich zu Hause!« Solange wir aber nicht immer wieder bei uns zu Hause sind, bei uns einkehren, mit
unserem Innersten, mit unserer Tiefe, unserer Seele Kontakt aufnehmen, solange werden wir auch nicht sensibel und wach sein für die Anwesenheit Gottes in uns und in unserem Leben. Der heilige Augustinus sagte: »Gott ist in uns, aber wir befinden uns außerhalb unserer selbst.« Wie können wir da Gott erkennen, erfahren, sensibel werden für seine Anwesenheit?
ANSELM GRÜN: Meine Erfahrung ist: Wer mit sich selbst nicht in Berührung ist, kann auch mit Gott nicht in Berührung kommen. Wer sich selbst nicht spürt, vermag Gott nicht zu spüren. Da wir mit uns selbst oft nicht in Beziehung stehen, können wir auch keine Beziehung zu Gott aufbauen. Das haben die frühen Kirchenväter schon gewusst. Sie sehen eine enge Beziehung zwischen der Beziehung zu uns selbst und zur Beziehung zu Gott. So sprach Cyprian von Karthago: »Wie kannst du von Gott verlangen, dass er dich hört, wenn du dich selbst nicht hörst? Du willst, dass Gott an dich denkt, und du selbst denkst nicht an dich.« Wer auf sich selbst nicht hört, wer kein Gespür hat für die leisen Impulse seines Herzens, der kann auch keine Beziehung zu Gott aufbauen. Wer nicht bei sich zu Hause ist, der kann auch Gott nicht in seinem Inneren finden.
Eine andere Erfahrung drückt der Schriftsteller Evagrius Ponticus († 399/400) so aus: »Willst du Gott erkennen, so lerne dich vorher selbst kennen.« Lange vor ihm lässt Clemens von Alexandrien († 211) den Menschen von der Selbsterkenntnis zur Gotteserkenntnis aufsteigen: »Es ist also, wie es scheint, die wichtigste von allen Erkenntnissen, sich
selbst zu erkennen; denn wenn sich jemand selbst erkennt, dann wird er Gott erkennen.«
Wenn wir uns selbst nicht erkennen, können wir Gott nicht erkennen. Unser Reden von Gott bleibt dann nur äußerlich. Wir
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