Wer Bist Du, Gott
sprechen von Projektionen, die wir auf Gott richten. Aber wir begegnen nicht dem wirklichen Gott. Wenn daher einer ständig Gott infrage stellt, habe ich wenig Lust, ihm zu beweisen, dass Gott existiert. Ich spreche dann lieber über ihn selbst und frage: »Erkennst du dich wirklich? Worauf stößt du, wenn du in dich hineinschaust? Stößt du da nur auf dein Ich? Oder gibt es in dir nicht einen Grund, der größer ist als du?«
Wo entdecke ich Gott in alledem?
WUNIBALD MÜLLER: Vielleicht hat die Frage nach Gott, die mich mein ganzes bisheriges bewusstes Leben lang beschäftigt hat, mit diesem Grund in mir, der größer ist als mein bewusstes Ich, zu tun. Wenn ich in meinen Tagebüchern nachlese, so geht es darin bei meinen Versuchen, die Geschehnisse in meiner kleinen persönlichen Welt und dann die in der großen Welt zu verstehen, immer wieder um die Fragen: Was hat das mit Gott zu tun? Was will mir Gott damit sagen? Wo entdecke ich Gott in alledem? Es scheint mir, als würde ich das alles in einen weiteren Horizont einbetten oder vor dem Hintergrund einer größeren Tiefe her verstehen wollen.
ANSELM GRÜN: Auch ich bin dankbar, dass ich seit meiner frühen Kindheit letztlich immer um Gott gekreist bin. In unserer Familie war Gott selbstverständlich. Meine Eltern sind täglich in die Eucharistiefeier gegangen.Wir haben schon als kleine Buben mit Begeisterung ministriert. Es war immer klar, dass es Gott gibt. Diese Sicherheit ist später immer wieder infrage gestellt worden. Ich musste mir klar werden, ob ich an Gott glaube oder an eine Projektion.Aber trotzdem kreiste ich auch mit meinen Zweifeln um Gott.
Den Unterschied habe ich festgestellt, als mir ein junger Mann erzählte, dass er sich durch eine tiefe spirituelle Erfahrung Gott zugewandt habe. Sein Vater aber wolle von Gott nichts wissen und mache Gott nur lächerlich. Dieser junge Mann ist von Gott berührt worden. Aber die negative Einstellung seines Vaters verunsicherte seine Gottesbeziehung immer wieder neu. Er erlebte seine Gottesbeziehung als brüchig. Bei mir war von Anfang an ein festes Fundament. Wenn das dann etwas erschüttert wird, fällt das Haus des Glaubens nicht sofort in sich zusammen.Vielmehr ist es eine Herausforderung, sich neu klar zu werden, wer dieser Gott für mich ist.
WUNIBALD MÜLLER: Ich war schon relativ alt, als ich zum ersten Mal ernsthafte Zweifel an der Existenz Gottes hatte. Ich sehe mich heute noch, wie mich diese Zweifel - ich studierte damals in Berkeley in Kalifornien - total erschütterten. Was ist, so fragte ich mich, wenn ich mir da bisher nur etwas vorgemacht habe? Wenn nun Gott tatsächlich nicht existiert? Solche und ähnliche Fragen quälten mich, brachten mich an den Rand der Verzweiflung.
Später, als ich Thomas Merton in seinen Büchern begegnete, faszinierte mich, wie er in bestimmten Situationen immer wieder darauf aufmerksam macht, dass jetzt Gott in diesem Raum anwesend und dies das Entscheidende sei. Was mich so anspricht, sind vor allem die Selbstverständlichkeit, mit der er davon ausgeht, und die Überzeugungskraft, die von ihm selbst ausgeht, wenn er das sagt. In gewisser Weise geht es mir heute ähnlich, wenngleich ich auch Phasen kenne, in denen ich Gott als abwesend erfahre, was aber natürlich noch einmal etwas anderes ist. Denn auch dann, davon bin ich überzeugt, ist er präsent.
ANSELM GRÜN: Für mich ist es auch selbstverständlich, dass Gottes heilende und liebende Gegenwart mich immer und überall umgibt - in jedem Raum, während des Gespräches mit den Mitarbeitern, bei Vorträgen, beim Autofahren. Aber ich muss mich immer wieder neu daran erinnern, dass Gott die eigentliche Wirklichkeit ist. Im Alltag gerät Gottes Gegenwart oft aus dem Blick. Dann tue ich so, als ob es Gott nicht gäbe. Daher sind für mich Rituale wichtig, die mich daran erinnern, dass Gott die eigentliche Wirklichkeit ist.
Als Kind habe ich erlebt, wie mein Vater immer, wenn er an einer Kirche vorbeiging, den Hut zog. Das war für ihn ein Ritual, das ihn erinnerte, dass Gott die eigentliche Wirklichkeit seines Lebens ist. Das hat mich sehr beeindruckt. Ich wusste um den tiefen Glauben meines Vaters. Er ist mit 24 Jahren - ohne Geld und ohne Arbeit - einfach ins katholische Bayern gezogen, weil er in einer Gemeinschaft Glaubender leben und an katholischen Feiertagen nicht arbeiten wollte.
WUNIBALD MÜLLER: Auch für mich sind Rituale wichtig, um mir Gottes Gegenwart in
Weitere Kostenlose Bücher