Wer Bist Du, Gott
und zu Gott zurechtgelegt haben, muss zu Grunde gehen.
Es bricht zusammen, geht zu Grunde, was uns bisher getragen, was uns Sinn gemacht, was uns zufrieden gemacht hat.Wir spüren:Was bisher unser Grund war, ist nicht länger unser Grund. Um neuen Halt zu finden, um eine Spiritualität, sprich eine Beziehung zu Gott, zu finden, die uns wirklich zu tragen vermag, müssen wir tiefer in uns nach einem neuen Grund suchen. Das aber ist leichter gesagt als getan. Es verlangt von uns, dass wir uns in die Tiefe hinabwagen, ja, dass wir uns in sie hineinfallen lassen, im Vertrauen darauf, zu einem Grund, unserem eigentlichen Grund zu gelangen. Es ist ein Abstieg oder auch ein Fall in einen tiefen Abgrund, bei dem wir uns der Erfahrung des »Nichts« und der »Leere« aussetzen.
ANSELM GRÜN: Johannes vom Kreuz spricht nicht von der Hölle, durch die wir hindurchgehen müssen, sondern von der dunklen Nacht. Aber sie hat die gleiche Aufgabe: uns von unseren Projektionen von Gott zu befreien. Es ist eine ständige Versuchung, sich mit dem Gott zufriedenzugeben, den ich erfahre, den ich in der Meditation spüre, von dem ich mich angenommen weiß und der mich berührt hat in vielen Erfahrungen, während eines Gottesdienstes oder einer Begegnung mit einem Freund.
So ist es wohl notwendig, dass die Illusionen, die sich immer neu in uns bilden, von Gott zerbrochen werden, damit wir offen werden für den unbegreiflichen Gott. Manchmal ist das mühsam. Denn wir sehen es schon als große
Aufgabe an, uns in der weltlichen und gottlosen Welt an Gott zu erinnern und in Gott unser Leben festzumachen. Jetzt zu erfahren, dass wir unser Leben nicht in Gott festgemacht haben, sondern an einer Illusion von Gott, das tut weh.
Dennoch muss es so geschehen, damit wir auf dem Weg in das namenlose Geheimnis Gottes bleiben und nicht stehen bleiben bei unseren Vorstellungen. Evagrius Ponticus hat schon im vierten Jahrhundert von dieser Gefahr gesprochen. Auf dem spirituellen Weg sind wir begeistert von den Bildern, die Gott in unserer Seele bewirkt, und von den angenehmen Gefühlen von Geborgenheit und Freiheit, die eine Gotteserfahrung mit sich bringt. Aber wir möchten an den Bildern, an den Gefühlen festhalten. Dann, so sagt Evagrius, nehmen wir den Rauch statt des Feuers. Gott ist aber das Feuer, das alle unsere Vorstellungen im Feuer der unbegreiflichen Liebe verbrennt.
WUNIBALD MÜLLER: Ein wunderbares Bild. Ein Vergleich, der sehr gut beschreibt, was geschieht, wenn - im wahrsten Sinne des Wortes - verbrennt, was uns vielleicht alles bedeutet hat. Eine große Liebe. Eine Freundschaft. Ein Projekt, an dem mein Herz hing. Ein Glaube, der mir unzerstörbar erschien. Ich weiß, was es heißt, »zu Grunde« zu gehen, denn ich habe diese Erfahrung gemacht.
Die Erfahrung des Zu-Grunde-Gehens kann uns zu Boden werfen und zutiefst erschüttern. So muss es sein, wenn wir Angst haben zu sterben. Johannes vom Kreuz spricht, wie du bereits erwähnt hast, von der dunklen Nacht der Sinne, der Seele und des Geistes. Es ist die Nacht, in der
unser Ego stirbt, wir der totalen Dunkelheit und Leere begegnen und uns wirklicher Halt versagt bleibt. Jetzt dürfen wir nicht davonlaufen, sondern müssen Dunkelheit und Leere aushalten. Es ist die Nacht der »End-Äußerung«, in der wir das Äußere, das uns dem Anschein nach jemand sein lässt, das uns anscheinend Sicherheit und Grund gibt, ablegen.
Doch zu Grunde zu gehen ist das eine. Das andere ist die einzigartige und zutiefst bewegende Erfahrung, die mit dem Zu-Grunde-Gehen einhergeht: am Ende, ganz am Schluss, zu seinem eigentlichen Grund zu gelangen. Du spürst tief in dir einen Grund, einen Halt, machst die Erfahrung, getragen zu sein.Was du bisher außerhalb von dir als Grund und Halt gesucht hast, erfährst du jetzt in dir. Und das auf eine Weise, wie es ein äußerer Halt, ein von außen, von anderen geliehener Grund, niemals vermitteln könnte.
Jetzt darfst du erfahren, was du vielleicht zu wissen glaubtest, woran du bisher vielleicht geglaubt hast: Gott selbst ist dein Grund. Du hast Anteil an ihm. Dein bewusstes Ich taucht in der Erfahrung des Zu-Grunde-Gehens in die Welt der Ewigkeit ein. Du erfährst einen Hauch von Ewigkeit, machst die Erfahrung, mitten im Jetzt vom Ewigen umfangen zu sein. Ein großer innerer Frieden geht mit dieser Erfahrung einher, eine Gelassenheit, die du mit nichts in der Welt eintauschen willst und die durch nichts in der Welt ersetzt werden
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