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Wer Bist Du, Gott

Titel: Wer Bist Du, Gott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselm Gruen
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erinnert uns vielmehr daran, die eigene Menschlichkeit anzunehmen, sodass wir uns immer wieder aufs Neue in Gott hinein ergeben. Dazu gehört das Eingeständnis, dass ich das Ego nie besiegen werde, sondern dass ich in meiner Unfähigkeit, es auszulöschen, mich nur in Gott hinein ergeben kann.

     
     
    WUNIBALD MÜLLER: Es ist nur zu verständlich, dass wir dieser Situation gerne ausweichen wollen, weil wir glauben, sie nicht bestehen zu können. Der bekannte Schriftsteller Nikos Kazantzakis schrieb in seinem Roman »Rechenschaft vor El Greco«, dass jeder Mensch, der es wert sei, Menschensohn genannt zu werden, sein Kreuz trage und sein Golgata besteige. Viele, ja die meisten, so meinte er weiter, würden nur die erste und zweite Stufe erreichen und dann weinend mitten auf der Strecke zusammenbrechen. Sie gelangen nicht zu dem Gipfel ihrer Pflicht: gekreuzigt zu werden, aufzuerstehen und ihre Seele zu retten.Voll Furcht vor der Kreuzigung wird ihr Herz schwach; sie wissen nicht, dass das Kreuz lediglich der Pfad der Auferstehung ist. Es gibt keinen anderen Weg.
    Unser Glaube an Gott erhält dadurch eine Tiefendimension. Er wird vertieft. Unser Glaube bleibt nicht länger an der Oberfläche hängen, beschränkt sich nicht auf die Zugehörigkeit zu einer Kirche, einer Religion. Gott ist uns dann nicht nur außen begegnet, sondern aus der eigenen Seele entgegengetreten. Es ist ein Glaube, der durch die existenzielle Erfahrung des Zu-Grunde-Gehens geerdet worden ist, ein Glaube, der uns trägt und hält, mag auch alles in uns und um uns herum zusammenstürzen.

TEIL V

    Herr, wir stehen vor Dir und kommen zu Dir in der
Finsternis einer Welt, die uns Dein Licht unter der
Wolke von Zweifeln und Ungewissheiten verbirgt
     
     
    dass Du uns helfen wollest, die Nacht des Advent, in
der die Welt noch immer steht, in Demut anzunehmen
     
     
    dass Du unserem eigenen Leben nicht mehr Dunkel
auferlegen wollest, als wir zu tragen vermögen
     
     
    dass Du es uns geben wollest, dass wir durch unser
Glauben, Hoffen und Lieben den anderen ein wenig
Licht gewähren
     
    Joseph Ratzinger,
Gebet während seiner Zeit in Münster

VERANKERUNG IN GOTT

Die Erfahrung der Verbundenheit mit Gott
    WUNIBALD MÜLLER: Ich bin davon überzeugt, dass wir angesichts unserer allenthalben deutlich zutage tretenden Gebrochenheit und Entfremdung Kontakt mit einer Welt aufnehmen müssen, die uns zentriert. Unser Innerstes muss Verbindung aufnehmen mit einer Welt, die nicht auf das reduziert werden kann, was wir schaffen können, was unser Ich vollbringen kann. Wir brauchen ein Zentrum - in uns und außerhalb von uns -, in das wir uns verankern können. Für den Muslim kann eine Pilgerfahrt nach Mekka Ausdruck seiner Reise ins Zentrum sein, um sich dort zu erneuern und zu regenerieren, für den Christen die Teilnahme an einer Eucharistiefeier oder eine andere Form von Gottesdienst.
    Die Religionen geben uns die Möglichkeit, zum Beispiel mithilfe von Riten in einen bewussten Kontakt mit dem Bereich des Heiligen, der anderen Welt zu treten. Wir kommen dadurch in den Genuss der göttlichen Energie, die
uns für die Bewältigung unseres Alltags zur Verfügung steht. So gilt es, geeignete Formen zu entwickeln, die uns helfen, uns mit dem Heiligen zu verbinden. Spiritualität heißt vor diesem Hintergrund auch, fähig zu sein, sich mit dem Bereich des Heiligen zu verbinden, um dort göttliche Energie zu tanken (vgl. Moore 2003, S. 96).
    Für mich als Christ stellt Jesus, der aus dem Bereich des Heiligen in die Welt des Profanen einbricht, die Verbindung zur Welt des Heiligen her. Er nährt uns mit seinem Fleisch und seinem Blut, der himmlischen Speise. Über ihn erhalten wir Nahrung vom Himmel, göttliche Energie, die unser Leben bereichert und vertieft. Durch ihn, seinen Tod und seine Auferstehung sind wir an den göttlichen Kreislauf angeschlossen worden, der dafür bürgt, dass wir in einem lebendigen Austausch mit dem Göttlichen bleiben, um so ganz, geheilt und erlöst zu werden.
     
     
    ANSELM GRÜN: Die tiefste Sehnsucht des Menschen geht dahin, vergöttlicht zu werden, mit göttlichem Leben erfüllt zu werden. Die Frohe Botschaft des Christentums ist, dass Gott selbst in Jesus zu uns hinabgestiegen ist, um uns Anteil zu geben an seinem göttlichen Leben. Das ist für mich die tiefste Verankerung in Gott, die es gibt. Ich muss nicht den mühsamen Aufstieg zu Gott bewältigen. Gott ist zu mir hinabgestiegen, um mich mit seinem göttlichen Leben zu

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