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Wer Bist Du, Gott

Titel: Wer Bist Du, Gott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselm Gruen
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herhalten, in deren Augen sie als heilige Männer und Frauen gelten. Sie stehen für das »sichtbare« Numinose. Statt sich selbst mit dem Geheimnisvollen, mit Gott zu verbinden und sich dort zu verankern, dorthin ihre grandiosen Tendenzen und Fantasien abzugeben, machen diese »Gläubigen« den spirituellen Führer zum Guru, zum Gott, füllen ihn mit ihrer Grandiosität an, indem sie ihn bewundern und verehren. Was in der »anderen Welt«, also bei Gott, ankommen sollte, bleibt bei den spirituellen Führern hängen.
    Wenn die geistlichen Führer diese Projektionen im gleichen Augenblick nicht dorthin weitergeben, wo sie hingehören - in die »andere Welt«, zu Gott -, geraten sie in Schwierigkeiten. Sie laufen dann Gefahr, sich aufzublähen, bis sie schließlich selbst glauben, außergewöhnlich, ja »außerirdisch« zu sein. Du hast ja schon darauf hingewiesen, wie Einswerdung,Verschmelzung mit Gott - die erwünschte oder tatsächlich stattgefundene Erfahrung - dazu führen kann, plötzlich selbst zu glauben, Gott zu sein.
    Ich habe jedenfalls große Vorbehalte gegenüber gewissen geistlichen Führern und Gurus, die als Ersatz für die nicht stattgefundene Verankerung in Gott herhalten müssen. Denn sie werden als Menschen gesehen, die dem Göttlichen, Gott
besonders nahestehen.Wenn sie nicht aufpassen, verhindern sie, dass es tatsächlich zur Kontaktaufnahme mit Gott kommt, indem sie sich selbst als Verankerungspunkt in das Göttliche anbieten. Der Kreislauf der mythischen Kraft zwischen Gott und den Menschen wird, so Robert Moore, dadurch unterbrochen. Diese will zu Gott fließen, um dort erneuert zu werden, und dann wieder zu den Menschen zurückfließen. Nun aber staut sich die göttliche Energie bei den Gurus, bleibt dort hängen und bläht sie auf. Statt Kanalisator für die göttliche Energie - zum Beispiel durch das Ritual - zu sein, enthalten sie dadurch den Gläubigen die mythische Kraft vor, die ihnen nur Gott, nicht aber spirituelle Führer und Gurus, schenken kann.
    Wie siehst du das? Und wenn du kritisch auf dich selbst schaust - kennst du auch bei dir diese Versuchung? Wenn ja, was hilft dir, nicht zu einem solchen Guru zu werden und dich nicht in diese Rolle drängen zu lassen?
     
     
    ANSELM GRÜN: Natürlich spüre ich auch bei mir diese Versuchung, die Projektionen der anderen als meine Wirklichkeit zu sehen. Wenn manche Leute mich nach einem Vortrag in höchsten Tönen loben, erkenne ich die narzisstische Versuchung, mich darauf auszuruhen und zu glauben, dass ich etwas Besonderes sei. Aber ich wehre diese Versuchung dann immer wieder ab, indem ich mir bewusst werde, dass ich ein Mensch wie jeder andere bin, mit Höhen und Tiefen, dass ich trotz meiner vielen Bücher immer noch an mir und meiner Unzulänglichkeit und Durchschnittlichkeit leide.
    Und es hilft mir, dann nach Hause zu fahren und den
ganz normalen Alltag eines Mönchs zu leben. Gerade die nüchterne Arbeit in der Klosterverwaltung, in der ich mit banalen Problemen wie der Müllentsorgung, der Altersversicherung, der Sanierung von Bauten beschäftigt bin, hilft mir, der Versuchung standzuhalten, mich in die Rolle des Gurus drängen zu lassen. Ich weiß, dass es mir nicht guttun würde, nur Vorträge zu halten oder Bücher zu schreiben. Ich brauche den Alltag, damit sich meine Spiritualität immer wieder erdet. Sonst wäre ich in Gefahr, abzuheben und mich in der Rolle des Weisen einzurichten. Das wäre mein spiritueller Tod.
    Mönch zu sein heißt für mich, mich täglich neu auf die Suche nach Gott zu begeben. Wenn ich von Gott spreche, dann nicht als einer, der Gott genau kennt und der Gott nähersteht als andere, sondern als einer, der genauso auf der Suche nach dem unbegreiflichen Gott ist wie die Menschen, zu denen ich spreche.

Und führe uns nicht in Versuchung
    WUNIBALD MÜLLER: Manchen geistlichen und religiösen Führern scheint diese notwendige demütige Zurückhaltung anscheinend verloren gegangen zu sein. Sie sprechen zwar nach außen von sich als »unwürdigen Knechten«, legen dann aber ein Anspruchsdenken an den Tag, das sie anscheinend berechtigt, die einfachsten Regeln der Höflichkeit - zum Beispiel, pünktlich zu sein oder einen Brief zu
beantworten - zu übergehen. Die Sensibilität für das Geringfügige und Alltägliche geht ihnen ab. Sie scheinen vergessen zu haben, was Lukas (16,10) schreibt: »Wer in den kleinsten Dingen zuverlässig ist, der ist es auch in den großen, und wer bei den kleinsten Dingen

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