Wer Bist Du, Gott
und unsere Seele gehören. Ein ganzheitlicher Ansatz bezieht die ganze Person ein: ihr Handeln, ihre Einstellungen, ihre Gefühle, ihre Gedanken, ihre
Beziehungen, ihre Hoffnungen und Ziele, und so weiter. Aus biblischer Sicht ist die menschliche Person niemals nur die Summe von Teilen, sondern immer ein Ganzes. Körper, Geist und Seele sind nicht etwas, was wir haben, sondern was wir sind.
ANSELM GRÜN: Auf der einen Seite ist diese ganzheitliche Sicht wichtig für eine therapeutische Spiritualität. Wir sollen unseren Leib und unsere Seele Gott hinhalten, damit seine heilende Kraft in alle Kammern unseres Leibes und unserer Seele strömen kann. Auf der anderen Seite dürfen wir Spiritualität nicht mit Gesundheit identifizieren. Sonst würden wir jedem Kranken Schuldgefühle vermitteln, er wäre nicht spirituell genug.Auch in einer gesunden Spiritualität kann ich krank werden. Es gibt die Krankheit, die mir einfach von außen widerfährt. Da soll ich nicht fragen, was ich verkehrt gemacht habe.Vielmehr soll ich sie als spirituelle Herausforderung annehmen. Die Krankheit soll mich dann zu meinem wahren Selbst führen und auf neue Weise zu Gott hintreiben.
Sich in Einklang mit der Schöpfung und dem Schöpfer befinden
WUNIBALD MÜLLER: Natürlich kann ich auch bei der Pflege einer gesunden Spiritualität krank werden. Genau dann wird sich zeigen, wie gesund, wie ganzheitlich, wie tief meine Spiritualität ist. Wie sehr sie sich auch in Krankheit und Not bewährt. Im Unterschied dazu gibt es aber auch Einstellungen, die uns davon überzeugen wollen, dass Heiligkeit und Gesundheit letztlich überhaupt nicht in Einklang zu bringen sind.Von der heiligen Hildegard wird oft der Satz zitiert: »Tu deinem Leib Gutes, damit die Seele darin wohnen kann.« Sie schreibt aber auch: »Gottes Wohnung pflegt nicht in einem gesunden Leib zu sein.« Dahinter steht die Vorstellung, wer heilig werden wolle, müsse sich notgedrungen auf den Weg der Abtötung begeben.
Die Erfahrung von Leid und Dunkelheit kann uns näher zu Gott bringen. Doch die ursprüngliche Bedeutung des Wortes »heilig« meint gesund und ganz. Krankheit stellt eine Wirklichkeit unseres Lebens dar, der wir nicht entrinnen können. Doch die Ehre Gottes ist der lebendige Mensch, sagt Irenäus von Lyon. Unsere Aufgabe ist es, das zu unterstützen, zu hegen und zu pflegen, was zu unserer Lebendigkeit, zu unserer Gesundheit, zu einem Leben in Fülle beiträgt, und nicht das, was uns davon wegführt.
Heilig, ganz, gesund sind wir, wenn wir uns im Einklang mit dem Göttlichen befinden. Wenn wir uns nicht so verhalten, als seien wir getrennt, losgelöst davon. Dabei lässt sich das Göttliche selbst nicht trennen, zum Beispiel von der Erde, oder absondern als das zum Himmel Gehörende.
Himmel und Erde sind eins. Das Göttliche manifestiert sich in Himmel und Erde, in jedem von uns Menschen. Wir können nicht aus der Einheit von Himmel und Erde herausgenommen werden und sollten uns selbst nicht herausnehmen, indem wir Geistliches und Weltliches voneinander trennen.
Gott ist überall anwesend, nicht nur in dem sogenannten Heiligen, den heiligen Stätten, den Kirchen und so weiter. »Die heilige Anwesenheit Gottes kann nicht auf religiöse Grenzen von Zeit und Raum beschränkt werden« (Newell 2000, S. 117). Das heilige Brot der Eucharistiefeier oder des Abendmahles ist heilig, aber nicht im ausschließenden Sinne. Es verweist vielmehr auf die Heiligkeit allen Brotes und Weines. Auf die Heiligkeit, die im normalen Leben, in jedem Augenblick des Lebens wohnt. Es geht dabei nicht darum, das Heilige zu banalisieren, sondern das Normale zu heiligen.
Diese Überlegungen treten für mich nicht in Konflikt zu meinem Glauben an Gott, der im Himmel, der Erde, seinen Geschöpfen zum Ausdruck kommt, aber viel mehr ist, der der ganz Andere bleibt, zu dem ich zugleich in eine personale Beziehung treten kann. Genau das ist ja das Faszinierende - teilhabend an Himmel und Erde, besser noch Teil seiend von Himmel und Erde, kann ich eintauchen in das Göttliche, ja, bin ich eingetaucht in das Göttliche. Das ist so unfassbar, das ist so unglaublich, aber auch so unglaublich beglückend, dass ich in großer Ergriffenheit und voller Faszination ob dieses Geheimnisses nur staunen kann und »staunend mich freu’n«, wie es zur Musik Franz Schuberts erklingt. Ich wache auf, endlich wache ich auf und sehe, was
ich bisher nicht gesehen habe, erkenne, was ich bisher nicht erkannt habe:
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