Wer bist du, schöne Juno
Unpäßlichkeit gemacht sehen wollte.
„Nun, ich habe beschlossen, daß wir bald gehen. Ich kann dich mitnehmen.“
Nach winzigem Zögern nickte Helen benommen und sagte: ,,Ja, das wäre wohl das beste.“
Der Earl würde damit rechnen, sie an diesem Abend noch zu sehen, doch wenn sie mit Dorothea unter dem Vorwand von Kopfschmerzen verschwand, würde er sich keine Sorgen machen. Er würde sie am nächsten Vormittag aufsuchen, und dann würde sie ihm alles erklären müssen. Doch bis dahin würde sie zumindest so viel Zeit gehabt haben, um sich zu fassen und ihm gegenübertreten zu können.
Sie konnte und wollte ihn nicht heiraten. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, seinen Traum, Eremitage wieder herzurichten, vernichtet zu haben. Sie nahm sich vor, ruhig neben Dorothea sitzen zu bleiben, bis es Zeit zum Gehen wurde.
9. KAPITEL
Zum Unglück für die wohlgemeinte Absicht, mit der Helen sich trug, erschien der Earl of Merton wenige Minuter später an ihrer Seite. Bei seinem Anblick machte ihr Herz einen Sprung. Sie konnte nicht verhindern, daß ein willkommenheißendes Lächeln ihren Mund umspielte.
Martin sah jedoch, daß es zittrig war.
Er zog sie auf die Füße, neigte sich zu ihr und fragte: „Was ist los?“
Mit mehr Ruhe, als sie empfand, wiederholte sie die Geschichte der angeblichen Kopfschmerzen.
Stirn runzelnd warf er einen Blick auf das sie beide umgebende Gedränge und erwiderte: „Das wundert mich gar nicht. Machen wir einen Spaziergang. Frische Luft wird Ihnen helfen, einen klaren Kopf zu bekommen.“
Ehe Helen Zeit zu Einwänden hatte, auf die er, wie sie vermutete, ohnehin keine Rücksicht genommen hätte, fand sie sich neben ihm im verdächtig leeren Korridor wieder. Das Herz schlug ihr nun noch schneller.
Ihr Verdacht bestätigte sich, als sie und der Earl eine Tür am Ende des Flures erreichten, nach deren Öffnung sie einen kleinen ummauerten Garten sah, der menschenleer war.
Martin führte Lady Walford zu einer versteckten Marmorbank, und wartete, bis sie sich gesetzt und den Rock glattgestrichen hatte. Dann ließ er sich neben ihr nieder.
Sie wandte ihm den Kopf zu und starrte ihn an. Das Mondlicht versilberte sein Gesicht, das sie in der letzten Woche so gut kennengelernt hatte. Ihre grünen Augen weiteten sich. Ihre Lippen öffneten sich halb.
Weil es das richtige zu sein schien und Martin seit langem aufgehört hatte, sich von etwas, das er tun wollte, abzuhalten, zog er sie rasch in die Arme und küßte sie.
Sie versuchte - sie versuchte es wirklich - sich gegen den Kuß zu verschließen und gegen die Einladung, sich ihm in die Arme zu schmiegen. Es war jedoch unmöglich, die Welle der Sehnsucht, die sie mitriß, einzudämmen. Sich in das Unvermeidliche schickend, kuschelte Helen sich an ihn und merkte, daß er sie fester an sich drückte.
Es war im höchsten Maße skandalös, in einem verlassenen Garten zu sitzen und einem Gentleman, den sie nicht heiraten würde, zu gestatten, sie zu küssen. Ganz besonders so zu küssen, wie er das tat. Später. Sie würde später mit ihm reden. Doch jetzt konnte sie ebensogut die köstlichen Reize genießen, die sich in ihr regten.
Es war unwahrscheinlich, daß Martin bald aufhören würde, und solange er auf diese Weise verhindert war, konnte er Helen keinen Heiratsantrag machen. Vielleicht hatte er noch gar nicht vorgehabt, um ihre Hand anzuhalten, sondern erlaubte sich nur eine kleine Tändelei, um sie noch mehr zu bezaubern? Da der Druck seiner Lippen stärker wurde, gab sie jeden Versuch auf, sich einen klaren Gedanken zu bewahren.
Als Martin endlich den Kopf hob, schaute er Helen an und fragte: „Willst du mich heiraten, meine Liebe?“
Jäh kam sie zur Vernunft. Sie riß die Augen auf und versuchte, die richtigen Worte zu finden, doch ihr fiel nichts ein. Angesichts Martins eindringlicher werdenden Blickes schluckte sie.
„Nein.“
Sie hatte das so leise gesagt, daß Martin dachte, er habe sich verhört. Doch der Ausdruck in ihren Augen, der wortlose Schmerz, überzeugte ihn, daß er keinem Irrtum erlegen war. Irgendwie hatte er alles verpatzt. Als sie die Hände von seinen Oberarmen löste, lächelte er und versuchte, ihr Problem auf die leichte Schulter zu nehmen. Er hoffte, er würde erfahren, um was es ging.
„Ich muß dir sagen, meine liebe Helen, daß es sich nicht gehört, einen Mann zu küssen und seine Werbung dann auszuschlagen.“
„Ich weiß“, erwiderte sie und ließ den Kopf hängen.
Sie merkte,
Weitere Kostenlose Bücher