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Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)

Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)

Titel: Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Gees
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ehrliches Interesse. Es war erfreulich, wie seine vorherige stark distanzierte Haltung sich nach und nach ins Gegenteil verkehrte. Die Hand, die bis dahin noch an seiner offensichtlich schmerzenden Seite geruht hatte, legte er jetzt auf die Armlehne seines Sessels. Ein neuerlicher, innerer Tumult brach in Diane aus, gerade, als sie geglaubt hatte, das Gefühlschaos endlich in den Griff zu bekommen.
    Ob er bemerkte, wie sehr sein ruhiger, forschender Blick sie innerlich aufwühlte? Sie befürchtete, dass er sie für eine dumme Göre halten könne, die nicht Herr über ihre Gefühlswelt ist. Aber die Art und Weise, wie er sie ansah, ließ sie nichts von solcherlei Gedanken spüren. Sie musste einige Momente lang abwarten, um sich sicher zu sein, dass ihre Stimme einigermaßen fest klang.
    „In meiner frühen Kindheit hat es niemanden gegeben, der meines Vertrauens wert war“, begann sie. „Mein Vater war schon damals ohnehin kaum zu Hause. Er hat mich in der Obhut einer Irren zurückgelassen.“ Sie beobachtete dabei seinen Gesichtsausdruck, der sich jedoch nicht veränderte. Dieser Mann reagierte niemals auf irgendetwas überrascht, dachte sie bei sich. Es schien so, als sei er ständig auf wirklich alles vorbereitet. „Meine früheste Erinnerung, die ich habe, ist die, dass ich in einer Zimmerecke hocke und jemand wie wild auf mich einschlägt. Ich schreie und schreie und habe entsetzliche Angst und weiß, dass die Furie, die über mir tobt, meine Mutter ist.“
    Diane dachte nach. Die besagte Erinnerung war fade und verblasst, hatte über die vielen Jahre des Abstandes hinweg an Schrecken verloren. Es gab andere, spätere Situationen, die heute noch heftigere Gefühlsreaktionen in ihr hervorriefen.
    „Ich glaube manchmal, sie hat mich für eine Puppe gehalten, der man nicht wirklich wehtun kann. Wahrscheinlich war ihr gar nicht bewusst, dass das kleine, hilflose Bündel zu ihren Füßen ein lebendiges Wesen war. Jedenfalls hat sie es nicht so behandelt. Ich musste ständig an ihrer Seite sein, durfte keinen Schritt von ihr weichen. Das ist für ein kleines Kind eine harte Übung, die man ihm kaum verständlich machen kann. Und ich war zu allem Überdruss auch noch ein sehr lebendiges Kind, musste alles anschauen und anfassen und vergaß darüber häufig die wichtigste Regel in meinem Leben: Bleibe an der Seite deiner Mutter. - Weißt du, es war so, wie bei einem Hund, der ‘bei Fuß’ gehen soll. Und wenn die Regel gebrochen wurde, dann gab es hysterische Schreie und Schläge.
    Einmal, da war ich vielleicht drei Jahre alt, bin ich in einem Park bei einem kleinen Kätzchen stehengeblieben. Ein schneeweißes Kätzchen mit großen grünen Augen, das mich anschnurrte und meine Beine umstrich. Meine Mutter war schon einige Meter weiter, bevor sie merkte, dass ich nicht mehr bei ihr war. Sie war in solchen Momenten ein übermächtiges Ungeheuer, eine Furie. Sie kreischte und schlug mir ins Gesicht und machte mir höllische Angst. Wenn ich weinte, dann wurde sie nur noch wütender. Deshalb lernte ich irgendwann, mir das Weinen zu verbeißen und stumm ihre Prügel zu ertragen.“
    Jetzt wurden die Erinnerungen lebendiger und Diane fühlte deutlich, wie sich ihr Magen zusammenzog. Robert Adlam sah sie an und hörte zu, es kam keine Regung von ihm.
    „In der Öffentlichkeit war sie die beste Mami. Und ich das liebste, folgsamste Töchterchen. Und immer dann, wenn ich nicht ganz so lieb und folgsam gewesen bin, wie sie es gerne gehabt hätte, gab es hinterher, wenn wir allein waren die angemessene Strafe.
    Vorzugsweise hat sie mich in die Besenkammer gesperrt, einen ganzen Tag und eine Nacht lang, wenn ich unartig gewesen bin. Das heißt also dann, wenn ich mir einen Fleck ins Kleid gemacht oder irgendetwas herumliegen lassen hatte. Sie war eine Reinlichkeitsfanatikerin. Sie wusch mich täglich zweimal am ganzen Körper, mit einer harten Bürste und kaltem Wasser. Dann kleidete sie mich wie ein Püppchen, und anschließend musste ich mich genauso benehmen, wie ich aussah. Bewegungslos auf dem Canapé sitzen und die Wand anstarren. So lange, bis ich zu Bett gehen durfte.“
    Sie schloss kurz die Augen und war für eine Sekunde wieder das fünfjährige Mädchen, das unter seiner Bettdecke kauerte und wimmerte. Ihr Bauch und der Rücken schmerzten, denn sie waren mit blauen Flecken übersät. Mutter hatte sie hochgenommen, auf ihren Arm, und dann plötzlich auf die Erde fallenlassen. Ohne einen für sie ersichtlichen

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