Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)
Grund. Sie musste sich ständig in Acht nehmen, was sie tat und sagte. Und auch, wenn sie alles richtig machte, konnte sie trotzdem bestraft werden. Weil ihre Mutter schon einen Grund dafür finden würde.
„Ich habe keine Ahnung, warum meine Mutter so war, wie sie war“, fuhr Diane fort, während sie in die aufmerksamen, ruhigen Augen ihres Gegenübers schaute. „Mein Vater konnte nur ahnen, was sie daheim mit mir anstellte. Er war schon damals dauernd unterwegs, schloss überall seine Geschäfte ab. Aber er muss die Prellungen an meinem Körper gesehen haben. Und er muss bemerkt haben, dass ich mit der Zeit immer stiller und passiver wurde. Aber er hat nie mit mir darüber sprechen wollen. Er war zu schwach, um sich der Realität zu stellen, so sehe ich das heute. Mein Vater hat mich in ihrer Obhut gelassen, ohne sich in die ganze Sache einzumischen. Er konnte wirklich hervorragend wegschauen.
Als meine Schwester Anna auf die Welt kam, war ich sieben Jahre alt. Das winzig kleine Wesen, das aus dem Bauch meiner Mutter gekommen sein sollte, löste in mir einen wahren Schutzinstinkt aus. Ich wollte nicht, dass es so würde leiden müssen, wie ich selbst. Ich hatte inzwischen andere Kinder gesehen, die glücklicher waren. Ich hatte mit Kindern gesprochen, die ihre Mutter liebten, weil sie gut zu ihnen war. Genau das wünschte ich mir auch für meine kleine Schwester und darin investierte ich von dem Zeitpunkt an meine gesamte Energie.
Ich durfte meiner Mutter die Waschrituale abnehmen, nachdem ich ihr einige Male gezeigt hatte, dass ich es selbst konnte. Von da an wusch ich mich und meine Schwester selbst und ich bemühte mich, dabei sehr viel vorsichtiger vorzugehen und Anna nicht wehzutun.
Wann immer es möglich war, kümmerte ich mich um die Kleine, ging mit ihr und einem Kindermädchen im Park spazieren, mit der Ausrede, ich wolle Mutter die Arbeit abnehmen. Und Mutter akzeptierte diese Ausrede überraschenderweise, schien mich nun als einigermaßen selbstständiges Mädchen zu betrachten und war sogar recht erfreut über diese Arbeitserleichterung. Natürlich hat auch Anna ihre Schimpftiraden bekommen, obwohl sie noch ein kleines Baby war. Aber so häufig, wie ich meine Abreibungen bekommen hatte, war es bei ihr bei weitem nicht. Ich habe sie beschützt so gut es ging, und das hat mich selbst stark gemacht und immer unabhängiger von dieser Frau, die meine Mutter war. Ich habe sogar gelernt, meine Mutter zu beeinflussen. Ich lernte, Anna und mich vor Schlägen zu bewahren.
Außerdem war Mutter bald wieder schwanger. Ihr ging es häufig nicht gut, oft musste sie sich auf ihr Zimmer zurückziehen und sich von den Dienstboten pflegen lassen. So gewannen Anna und ich immer mehr Freiraum.
Meine schlimmsten Gebete, dass wir irgendwann für immer befreit sein würden, gingen an dem Tag in Erfüllung, als Bernhard geboren wurde. Mutter starb im Kindsbett, wenige Stunden nach der Geburt. Und ich dummes Mädchen habe mir noch Vorwürfe gemacht, dass ich ein solch böses Gebet jemals ausgesprochen habe.“
Plötzlich und völlig unerwartet lehnte Robert Adlam sich in seinem Sessel vor und griff nach ihrer Hand. Diane zuckte zusammen, so überrascht war sie.
„Gott hat dein Gebet sicher nicht erhört“, sagte er mit sehr leiser, angenehm weicher Stimme. Er hatte das unpersönliche „Sie“ abgelegt, wie auch sie selbst in ihrem Eifer. Diane empfand das als sehr angenehm. „Er ist viel zu weit weg, als dass unsere dünnen Stimmen ihn überhaupt erreichen können.“
Sie nickte. „Ja, das mag vielleicht sein. Manchmal scheint es mir sogar so, als würde der Teufel seine Ohren viel besser gespitzt halten.“
Robert drückte ihre Hand. Seine Finger fühlten sich warm an. Es wirkte sehr tröstlich auf sie.
„Das muss er auch“, meinte er. „Er lebt davon, dass wir ihn rufen. Gott braucht uns nicht. Er kann es sich leisten, uns zu ignorieren.“
Diane dachte über diese merkwürdigen Worte nach: Wozu sollte der Teufel die Menschen brauchen ?
„Ohne das Böse in uns hätte der Teufel keine Macht in dieser Welt“, erklärte ihr Robert, ohne dass sie ihm ihre Frage gestellt hatte.
„Dann muss Gott uns doch genauso brauchen, weil wir ja schließlich auch das Gute in uns tragen“, warf Diane ein.
„Gott war schon immer. Vor allem Bösen und allem Guten. Als die Menschheit noch gar nicht geboren war, da hat er schon existiert. Deshalb weiß ich nicht, warum man ihn für gut hält. Er hat schließlich auch
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